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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Linien und Mauern

Es hätte mich nicht weiter erstaunt, wenn die Lastwagenhupe am Sonntag Paris bombardiert hätte, denn der Diebstahl von Kronjuwelen einer nicht mehr existierenden Monarchie aus dem Louvre verdrängte die globale Vuvuzuela komplett aus den Schlagzeilen. Mit ein paar schönen Bömbchen aus der Kate­gorie 3a, das sind diejenigen, die auf Kulturgüter programmiert sind, hätte er nicht nur die Auf­merk­samkeit der Welt wieder gewonnen, sondern auch eine starke Konkurrenz eliminiert für das neue, wundervolle, großartige und endgültige Kunstmuseum, das die Lastwagenhupe mit dem Geld der Saudis errichten wird in Mar-a-Lago oder eventuell direkt in Riad, nachdem dort die Satiriker-Weltmeisterschaften durchgeführt wurden im Stadion Jamal Kashoggi, während in den Keller­räu­men, in Katakomben, welche nach römischem Vorbild gebaut wurden, nur besser, ver­schie­dene verstockte Vertreter der wahabitischen Geistlichkeit gefoltert wurden mit Bildern und Vorlesungen aus dem christlichen Neuen Testament.

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Die Botschaften von Nächstenliebe, globalem Frieden und Glorifizierung der Armut stehen zwar allesamt auch im Koran, dort aber versteckt in kaum jemals angewendeten und vorgetragenen Suren, sozusagen in einer Rumpel­kam­mer, in welcher kaum einmal jemand herum stöbert. Wenn man so etwas dem wahabitischen Klerus vorträgt, ist das ungefähr so, wie wenn man unsereinem die Fingernägel heraus reißt. Stelle ich mir jedenfalls vor. Und wenn dann das Kunstmuseum steht neben dem Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud’s, Ausgabe Riad, das heißt, dort werden die realen, also nicht die königlichen, sondern die tat­säch­li­chen Figuren ausgestellt, also die Originale, nicht ihre Abbilder aus Wachs, namentlich aus der Abteilung Fußball, Cristiano Ronaldo und Konsorten, wenn das alles also fertig gebaut ist und in diesem Kabinett auch noch verschiedene ausgemusterte und vielleicht auch noch aktive Politi­ke­rin­nen Einsitz nehmen, möglicherweise in einem Sondergebäude die gesamte Vollversammlung der Uno, dann ist die Zeit reif, und Saudiarabien wird endlich auch eine Weltmeisterschaft in Porno­grafie ausrichten. Das dauert alles noch ein wenig, weil sich Mohammed Bin Salman noch nicht entschlossen hat, ob er vorher nicht doch sein Vorzeigeprojekt «The Line» vollenden soll. Im Moment sieht es so aus, als ob die Arbeiten vollständig eingestellt wären, nachdem die anfängliche Planung mit einer 170 Kilometer langen Linie von Wolkenkratzern durch die Wüste bereits reduziert worden war auf eine erste Etappe von 2.4 Kilometern. Bei allem Spott über Saudiarabien: Dieses Projekt hat mir gefallen, auch wenn ich «The Line» allzu eindimensional empfunden habe, wenn ich mir diesen Scherz einmal erlauben darf. Natürlich, selbstverständlich, unbedingt und zur Erreichung des Status neu, wundervoll, großartig und endgültig hätte man durchaus eine Linie planen können, aber doch nicht schnurgerade! Das Masterprojekt wurde offenbar nicht von einem Meister, sondern von einem Schnupperstift entworfen, der gerade die ersten Stunden in Geometrie unterrichtet worden war, wobei die Vernunft und die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf einen Sohn von Mohammed Bin Salman oder aber auf Bin Salman selber deuten.

Egal! Wenn die Menschheit schon mal etwas Pharaonisches errichtet und wenn die Saudis den Nachbarn im viertausend Jahre lang herunter gewirtschafteten Ägypten mal so richtig eine lange Nase drehen können, dann soll man das loben und nicht im Häme übergießen, auch wenn man in diesem Zusam­menhang nicht um Häme herum kommt. Nämlich sollen leitende Angestellte für dieses Projekt ihren Job geschmissen haben, vielmehr wurde ihr Job geschmissen, und jetzt arbeiten sie, na, wofür wohl, für das Skigebiet Troja! Nein, natürlich heißt es nicht Troja, sondern Trojena. Das liegt offenbar auf einem Berg in der Region Tabuk, 100 Kilometer vom Roten Meer entfernt und auf 1500 bis 2500 Meter über Meer gelegen, wo die Temperaturen im Winter unter null fallen und wo es auch hin und wieder schneit. Im Jahr 2029 sollen dort die asiatischen Winterspiele ausgetragen werden. Damit, also mit dem Skisport in Saudiarabien, erfüllt sich auch die letzte meiner Prophezeiungen aus dem Jahr 2020 oder so, und es wird Zeit, neue Prognosen für diesen Staat aufzustellen. Der mit den Pornographie-Weltmeisterschaften ist wohl nicht undenkbar, allerdings müsste es sich um islamische Pornographie handeln, und wie die aussieht, kann ich mir mit meiner christlichen Erziehung nicht vorstellen. Überhaupt gehe ich davon aus, dass ihnen bis dahin wieder etwas anderes einfallen wird. Nur der mit der Kunst, der wird mit Garantie zum internationalen Volltreffer mit einem Museumsquartier, in welches alles hinein gestopft wird, was die Menschheit bisher an Zivilisation geschaffen hat und insonderheit alle werthaltigen Kunstwerke aus allen Genres der bildenden Kunst, beherbergt in einem Sammelsurium an Gebäuden in Anlehnung an Frank Gehry, an Assurbanipal, koreanische und kambodschanische Königstempel, alles in allem eine Art von Disneyland, einfach diesmal in einer Deluxe-Ausführung. Wie es sich für einen Erdölscheich in einem Erdölreich gehört.

Eins allerdings halte ich für wenig wahrscheinlich, nämlich dass Mohammed Bin Salman die Kosten für den Wiederaufbau von Gaza übernehmen wird, wie es der Sondergesandte der Last­wagenhupe Steve Witkoff wohl antönte, als er sagte, dass die 50 Milliarden US-Dollar, welche der Wiederaufbau von Gaza kosten werde, für die Region ein Pappenstiel sei. Die Uno hat zu diesem Thema gemunkelt, es gebe vielversprechende erste Signale von potenziellen Geldgeberinnen aus den Rängen der arabischen Staaten, aus europäischen Ländern und aus den USA. Vor allem für die USA dürfte dies in hohem Maße zutreffen, würde sich im Gazastreifen doch in maximaler Kon­zen­tra­tion jener kapitalistische Kernprozess abspielen, den Schumpeter im Jahr 1942, also während der maximalen Blütezeit des Zweiten Weltkriegs, die «schöpferische Zerstörung» genannt hat. Auch hier will ich nicht ungnädig sein und die schöpferische Zerstörung im Grunde genommen als eine Kraft des ständigen Fortschrittes durchaus akzeptieren; aber das Hecheln und Lechzen der US-amerikanischen Kapitalistenhunde am Leid der palästinensischen Bevölkerung, das geht mir dann doch auf den Keks, natürlich nicht zuletzt deswegen, weil die Lastwagenhupe ja bereits konkret über die Überbauung des Gazastreifens mit Luxuswohnungen gesprochen hat, und dort hat die palästinensische Bevölkerung keinen Platz, wenn ich mich nicht irre. So oszilliert diese Wieder­auf­bau­de­batte zwischen den Megaprojekten von Bin Salman zum einen, der absehbaren Realität zum anderen, dass für eine solche 50-Milliarden-Dollar-Initiative die ständige Wohnbevölkerung wohl ihren Platz räumen und leider in Zeltstädte auf der Sinai-Halbinsel oder vielleicht noch effizienter direkt in der Region Darfur umziehen muss.

Ach ja. Sprechen wir von etwas anderem. Wie ich höre, will das deutsche Verteidigungsministerium eine Ergänzungsbestellung von 15 F35-Kampfflugzeugen bei den US-Amerikanern tätigen für 2.5 Milliarden Euro, zusätzlich zu den bereits in Auftrag gegebenen 35 Stück. Zur Erinnerung: Bei den F35-Jets handelt es sich um Fluggeräte, deren Einsätze und Feuerbefehle immer zuerst vom US-amerikanische Pentagon bewilligt werden müssen, das übrigens an jenem Tag von Verteidigungs­ministerium in Kriegsministerium umbenannt wurde, als Benjamin Nethanjahu die Lastwagenhupe für den Friedensnobelpreis nominierte. Verstehen Sie Spaß? Ja, ja, wir verstehen den Spaß, nur das Nobelpreiskomittee versteht keinen und hat den Preis der venezolanischen Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado verliehen, welche den Frieden in Venezuela vermutlich demnächst praktizieren darf, sobald die Lastwagenhupe das Land platt gemacht hat. Nein, fürs Plattmachen sind die Israeli zuständig, die interessieren sich nicht für Venezuela, die US-Amerikaner werden Venezuela mit einer Kombination aus konventionellen Militärschlägen und verschiedenen Geheimaktionen bereit machen für die Regierung Machado. Das ist für die US-Amerikaner insofern kommod, als Vene­zuela über die größten nachgewiesenen und förderbaren Erdölvorkommen verfügt mit 28% der weltweiten Vorräte; Saudiarabien folgt an zweiter Stelle mit 24%, Iran hat 20%, Kanada 15% und der Irak 13%. Was macht eigentlich Nicolas Maduro mit diesen gewaltigen Reserven? Die Antwort ist ebenso einfach wie deprimierend: nichts. Er lässt die Anlagen des Landes verrotten und benutzt den Rohstoff als Tauschware, oft für billige politische Gegengeschäfte. Nun gut, für ein Projekt wie die saudiarabische Linie hat es in Venezuela zu wenig Sand und zu viele Menschen, da müsste man sich etwas anderes einfallen lassen, einmal abgesehen von der Subventionierung der Waren des täglichen Bedarfs, wie dies im Moment ja auch geschieht. Aber Venezuela könnte sich ja auch auf ein paar weniger konsumptive und eher produktive Fortschritte verlegen, wenn man mich fragt.

Zurück zur deutschen Verteidigung, diesmal gegen rechts. Euer Kanzler hat offenbar angekündigt, dass in Zukunft nicht mehr die Grünen, sondern die AfD der Hauptfeind der CDU sein wird. Das verstehe ich nicht. Weshalb waren die Grünen der Hauptfeind der CDU? Bei der CSU habe ich das auch nicht verstanden, aber beobachtet habe ich es wohl, während die CDU doch streckenweise munter Allianzen mit den Grünen geschmiedet hat, deren Politik sich in der Regel vor allem im Bereich Umwelt, nicht aber im Bereich Wirtschaft von jener der CDU unterscheidet. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Beispiel hat sein Schicksal vollständig an den Stuttgarter Automobilproduzenten Mercedes gebunden, der unterdessen übrigens auch Elektrofahrzeuge herstellt, was Kretschmann sicher gefällt, ihm aber ansonsten so lange wurscht ist, als es einfach genügend Arbeitsplätze im Lande hat. Übrigens entstehen auch viele Arbeitsplätze beim Neubau des Tiefbahnhofs, der auch im Jahr 2026 noch Stuttgart 21 heißen wird. In zwei Jahren soll er in Betrieb gehen, also knapp rechtzeitig zur Internationalen Bauaussstellung Stuttgart 2027, welche in der Region laut eigenen Aussagen visionäre Bauprojekte, nachhaltige Architektur und innovative Stadtentwicklung zeigen will – ob man dann mit dem neuen Bahnhof prahlen soll, kann und wird, muss sich noch weisen. Fest steht, dass auch über dem neuen Bahnhofgelände nach wie vor der alte Bahnhofturm prangt mit einem überdimensionalen Mercedes-Stern als Reminiszenz daran, dass Mercedes-Benz vor 25 Jahren versucht hat, die europäische Bahnindustrie vermittels ihres Schrottvehikels ADTranz zu ruinieren. Der Mercedes-Benz-Stern über dem Bahnhof wirkt also, als hätte man auf das Weiße Haus in Washington ein Emblem mit Hammer und Sichel aufgepflanzt. Trotzdem: Mit Stuttgart 21 sollte nicht Winfried Kretschmann zuvörderst in Verbindung gebracht werden, sondern Günter Öttinger, der Vorgänger von Kretschmann und CDU-Politiker, der später in die EU-Kommission delegiert wurde und dort so viele Beziehungen knüpfte, dass er noch im letzten Jahr einen Job als Lobbyist für den chinesischen Wegwerfkleiderfabrikanten Shein erhielt, abgesehen vom Job als Aufsichtsratsvorsitzender des Immobilienkonzerns Gröner Group, den er im Jahr 2023 antrat und der 2025 in die Insolvenz ging. Wo befinden sich die Feinde der CDU?

Ach ja, bei den Grünen natürlich, oder vielmehr neuerdings bei der Allianz für Deutschland. Ich habe keine Ahnung, ob dieser Wechsel des Feindbildes noch nicht einmal ein Jahr, nachdem die christlichen Idioten ihre gesamte Feuerkraft auf Wärmepumpen, Habeck, Bärbock und eben die Grünen gerichtet hatten, einen positiven Effekt zeitigen wird. Die Saudis bauen eine Linie, die CDU spricht von einer Brandmauer; vielleicht beginnt die nun auch bei Kilometer 2.7 zu bröckeln, wer weiß. Am Engagement gegen das rundum behämmerte Rudel der Allianz für Deutschland wäre an und für sich nicht viel auszusetzen, wenn nicht zuvor das rundum behämmerte Gekläff gegen die Energiewende und weitere schöne Dinge das Bild der CSU sowieso, aber auch der CDU als Partei mit einigen Restbeständen an vernünftigen Politikerinnen dauerhaft beschädigt hätte. Auf dieser Ebene ist die Brandmauer zwischen CDU und der Allianz für Deutschland schon vor längerer Zeit gefallen.




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