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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Rosenkrieg

Man mag ihn mögen oder nicht, Benedict Cumberbatch in seinen verschiedenen Rollen, die in der Regel eher etwas komplex angelegt sind, auch in einfachen Stücken wie in der Sherlock-Holmes-Serie, vielleicht liegt es weniger an der Rolle als an seinem Gesicht, das ein bisschen wie schock­gefrostet aussieht, aber wie auch immer: Ich habe es verdienstvoll gefunden, dass er sich auch mal in eine Komödie verirrt wie der «Rosenkrieg», der gegenwärtig in den Kinos läuft.

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Es war offensichtlich die Absicht des US-amerikanischen Regisseurs Jay Roach, versuchshalber im Teich des berühmten britischen Humors zu fischen, auch wenn er die Geschichte und das Rosenkrieg-Paar für seinen Film beziehungsweise für ein US-amerikanisches Publikum nach Kalifornien verfrachten musste. Olivia Colman erledigt ihren Part mit Bravour, sodass das Film-Ehepaar dem Publikum manches Schmankerl eines deftigen Wortgefechts beschert. Und das war es dann auch schon.

Es geht nicht. Es geht nicht, englische oder britische Scharfzüngigkeit über eineinhalb Stunden auszuwallen, ohne dass sie von einer Geschichte getragen wird, die ihren Namen verdient. Das ist hier nicht der Fall. Wir wohnen einem 90-minütigen Wortgefecht bei, das sein Niveau die ganze Zeit über hält, während rund herum ein paar Erfolge oder Katastrophen eingerichtet werden mit einem halben Dutzend Komparsen, welche in keinem Moment Einfluss nehmen auf den Schlag­ab­tausch, weder die befreundeten Paare noch die heranwachsenden Kinder; nach, sagen wir mal, zwanzig Minuten stößt die Schlagfertigkeit des Paars an seine Grenzen, und die tolle postkoloniale und postfeministische Grundierung der Protagonistinnen mit der steifen Oberlippe haben wir zu diesem Zeitpunkt auch so weit begriffen, dass daraus keine weitere Überraschung mehr zu gewinnen ist. Schade drum!, aber vielleicht versuchen es Cumberbatch und Colman einmal mit einem Drehbuch, das nicht von den goldenen Zeiten des letzten Jahrhunderts inspiriert ist. Ein Detail steht für den ganzen Rest: Das Hausleitsystem, welches in Cumberbatchs Superhaus in Kalifornien eingebaut ist, wird nicht etwa Alexa oder Siri gerufen, sondern, Scherz, Scherz, Scherz, HAL, also gleich wie der Bordcomputer in Kubricks «Space Odyssee», der bekanntlich HAL heißt, weil Kubrick ihn nicht IBM nennen wollte und deshalb im Alphabet um eine Stelle zurück buch­sta­bierte, H für I, A für B, L für M. Wirklich eine Anspielung der Spitzenklasse, wobei sich Roach damit herausreden könnte, dass dies in etwa dem Können des von Cumberbatch dargestellten Architekten entspreche, aber solche Querverweise sind in diesem Haus voller Querlatten fehl am Platz, nein, es handelt sich um einen sogenannten Insiderwitz für die breiteste, platteste Öffentlichkeit. Und das charakterisiert den Film insgesamt.

Frankreich hat schon wieder keine Regierung beziehungsweise schon wieder einen neuen Premier­mi­nister, nachdem es in den letzten Jahren nach und nach seine Kolonien definitiv verloren hat, wo soll das noch hinführen? Drei politische Blöcke, die sich gegenseitig neutralisieren, während die Temperaturen in der Volksseele gerade wieder auf den Siedepunkt erhitzt werden? Nun, wenigstens handelt es sich hier um die Seele und nicht um den Geist, wo Frankreich schon seit Jahrzehnten mit Dampf betrieben wird. Womit der französische Staatshaushalt betrieben wird beziehungsweise betrie­ben werden soll, ist eigentlich klar, nämlich Geld; immerhin gibt ein Artikel in der Zeitung «Le Monde» vom 9. September ein paar Einblicke über die jüngere Geschichte der Staats­ver­schul­dung Frankreichs. Im Jahr 2017 belief sie sich auf 2.281 Billionen Euro; im März 2025 war sie auf 3.345 Billionen geklettert, das entspricht einer Zunahme um etwas über eine Billion bezie­hungs­weise um 47%. Immerhin legte in diesem Zeitraum auch das Bruttoinlandprodukt um 30% zu, was die Bruttozunahme der Ver­schul­dung etwas relativiert. Mit anderen Worten: Im Vergleich zum Jahr 2017 betrug die Netto­zu­nah­me der Verschuldung nicht 1 Billion, sondern gut 400 Milliarden Euro. Für diese Zunahme werden im Bereich der Gesamtwirtschaft vor allem zwei Gründe ins Feld geführt, nämlich die Pandemie mit dem anschließenden Programm zur Wiederbelebung der Wirt­schaft sowie die Ener­gie­krise im Jahr 2022, von welcher Frankreich offenbar noch stärker betroffen war als zum Beispiel Deutschland. Das französische Konjunkturforschungsinstitut OFCE führt ungefähr die Hälfte bis zu drei Vierteln der zusätzlichen Verschuldung, also der zusätzlichen 400 Milliarden Euro auf diese beiden Elemente zurück. Der Rest, also 100 bis 200 Milliarden Euro, sind auf Steuer­ra­batte zurückzuführen, von denen unter anderem die besser gestellten Haushalte pro­fi­tier­ten. Ganz einfach sei es nicht, die entsprechenden Steuereffekt zu berechnen; der Rechnungshof nennt die Summe von 62 Milliarden im Zeitraum 2018 bis 2023, die Vereinigung Attac beziffert den Betrag auf 207 Milliarden. Die Konjunkturforschungsstelle dagegen schreibt den Großteil der Steuer­aus­fälle den Steuererleichterungen zu, die in der Folge der Proteste der Gelb­wes­ten in den Jahren 2018 bis 2019 eingerichtet wurden und vor allem den mittleren Klassen zugute gekommen seien, nament­lich bei den Einkommenssteuern, dem Verzicht auf eine Erhöhung der CO2-Steuer und der Sozial­ab­gaben für Rentnerinnen mit tiefen Einkommen, der Fernsehgebühren und so weiter. Das habe zu einem Loch von mindestens 132 Milliarden Euro zwischen 2019 bis 2023 geführt. Die staatlichen Ausgaben auf der anderen Seite seien im Betrachtungszeitraum nicht gestiegen. Und eben, die Einsparungen, welche Premierminister Bayrou durchdrücken wollte, hätten sich auf 44 Milliarden Euro belaufen.

Wie auch immer: Neben dem Staatshaushalt gibt es immerhin noch die schönen Künste. Am 3. Sep­tember wurde die kurze Liste der Anwärter auf den Prix Goncourt veröffentlicht, auf den franzö­si­schen Literaturpreis par excellence. Es figurieren darauf Emmanuel Carrère, Natascha Appanah, David Diop und Laurent Mauvignier aus dem obersten Dezil der Schreibenden, daneben Paul Gas­nier, Maria Pourchet und Hélène Laurain als Vertreterinnen der weniger bekannten Elite. Es gibt von diesem Buchpreis einige Ableger, wie sich dies in der heutigen Zeit von selber versteht und wie es sich auch schon früher immer von selber verstanden hat, zum Beispiel den Frühlings-Goncourt mit drei Preisträgerinnen: für den Roman-Erstling wurde ausgezeichnet Simon Chevrier mit dem Titel «Photo sur demande», den Frühlings-Goncourt für eine Novelle erhielt Gaël Octavia für «L’étrangeté de Mathilde T.», und für Lyrik strich James Sacré den Robert-Sabatier-Preis ein. Bei James Sacré handelt es sich um einen 86-jährigen Poeten, der zunächst als Wanderlehrer die Dorfjugend in den Dörfern der Vendée unterrichtete, bevor er im Jahr 1965 in die Vereinigten Staaten emigrierte und dort eine Doktorarbeit über die französische Lyrik zum Ende des sech­zehn­ten Jahrhunderts schrieb; er lehrte anschließend an einer Universität in Massachusetts. Seit 1972 werden seine Gedichte in Frankreich publiziert, und seit 2001 lebt er wieder in Frankreich. Der aktuelle Titel wurde vermutlich für seine neue Publikation «Die Gegenstände, die uns begleiten (oder umgekehrt)» verliehen, wobei Sacré das Wort «Objekte» verwendet, aber eindeutig Gegen­stände meint. James Sacré wolle uns dazu auffordern, den Begriff «Objekt» als Träger der kon­kreten Präsenz zu empfinden, heißt es auf der Webseite fabula.org, und da stehen auch noch weitere kluge Dinge wie «Jedes Objekt ist da in seiner Einzigartigkeit und bleibt zu weiten Teilen ein Rätsel, auch wenn wir es mit seiner Geschichte, mit Erinnerungen oder mit mehr oder weniger unbestimmten Überlegungen umhüllen.» Jaja. Da halte ich mich lieber an jenes Gedicht, das ich auf dem Internet gefunden habe:
«Je n’aurai pas peur/Ni du silence ni de l’énigme/La mort viendra quand elle voudra/Sans rien m’exliquer. Déjà les poèmes/M’ont emmené longtemps/Par des mots qui n’expliquent rien non plus./Les poèmes sont aussi/Le silence et l’énigme.» Damit wären also nicht nur die Objekte, sondern auch die Gedichte in erster Linie Schweigen und Rätsel. Ich habe keine Wahl: Ich verstumme.

Hierzu, mindestens! Zu «Die Seltsamkeit», vielleicht auch «Das Fremdsein der Mathilde T.» beziehungsweise zu Gaël Octavia kann ich sagen, dass es sich bei der Autorin um eine Frau aus Martinique handelt, die auch Filme macht und malt, wobei es sich bei den Filmen hauptsächlich um Kurzfilme handelt; Bilder von ihr habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, wobei im Moment die Einträge zu Gaël Octavia natürlich vom Frühlings-Goncourt überstrahlt werden. Im Roman «Photo sur demande» von Simon Chevrier geht es um ein männliches Escort für Männer beziehungsweise laut Amazon um das Porträt eines exaltierten jungen Mannes, der den Sinn des Lebens sucht.

Meinen persönlichen Beitrag zum Goncourt-Universum möchte ich leisten mit zwei Büchern, einmal «Triste Tigre» von Neige Sinno, welcher den Prix Goncourt des Lycéens sowie den Prix Fémina erhalten hat, allerdings bereits im Jahr 2023, damals dafür auch noch den Prix Littéraire der Zeitung Le Monde; in diesem Buch erzählt eine vierzigjährige Frau ihre eigene Geschichte in der Adoleszenz, als sie von ihrem Stiefvater während mehreren Jahren sexuell missbraucht wurde. Eigent­lich bin ich nicht so scharf auf diese Art von Literatur, einmal weil ich grundsätzlich be­zweifle, dass das im Moment überall grassierende Autobiografische wirklich bessere Bücher her­vor bringt als die mehr oder weniger reine Fiktion, welche sich gerne auch der in den Autobiografien abgehandelten Themen annimmt, diese aber mit größerer Freiheit abhandeln kann, wodurch auch der Leserin und dem Leser gedient ist. Authentizität ist zunächst nur Authentizität und nicht Quali­tät, und wenn ich mir vorstelle, dass jedes der momentan 50'000 zivilen Opfer im Gazastreifen einen eigenen Roman veröffentlichen täte, wird mir ganz schummrig, mit anderen Worten, ich warte darauf, dass es einen oder vielleicht ein Dutzend Romane zu diesem Thema geben wird, die man dann als gültig betrachten kann. Trotz diesen Vorbehalten habe ich «Triste Tigre» nicht nur gekauft, sondern auch zu lesen begonnen, und ich habe nicht die Absicht, damit aufzuhören, bloß bin ich im Moment noch nicht fertig. Neige Sinno findet auf jeden Fall einen ganz eigenartigen Ton, um Geschich­ten und Personen, einschließlich sich selber zu beschreiben, eine Mischung aus Reflexion, Recherche und Erinnerung, die in einer ziemlich sachlichen Sprache vorgetragen werden und die Leserin damit präzise mit ihrer damaligen und jetzigen Situation konfrontiert. Das zweite Buch heißt «La foudre», der Blitz, von Pierric Bailly, das ebenfalls im Jahr 2023 erschienen ist und vom Magazin «Lire» zum besten französischen Roman des Jahres erkoren wurde. Die beiden Bücher haben nicht nur den Jahrgang gemein, sondern auch, dass sie zu Beginn zwischen den französischen Alpen zum einen, der Hafenstadt Boulogne sur Mer als Sehnsuchtsort zum anderen pendeln. Im «Foudre» beschreibt ein Aussteiger, der seit ein paar Jahren im Sommer in den Bergen des Juras Schafe hütet und im Winter als Liftbügelhalter im lokalen Tourismus­ge­schäft arbeitet, den Prozess gegen einen ehemaligen Schulkollegen, den er aus den Augen verloren hatte, bis er ihn als des Mordes beschuldigten Angeklagten wieder findet. Auch hier verzichtet Herr Bailly zunächst auf die große lyrisch-literarische Ambition, aber eine saubere Sprache und eine beispielhafte Er­zählweise mit Rückblenden am richtigen Ort und den Geschichten aus der Gefühlswelt ebenfalls in der richtigen Dosierung fallen ins Gewicht, mindestens bis jetzt, denn auch mit diesem Buch bin ich noch nicht fertig.







Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
16.09.

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