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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Vermischte Meldungen

Es ist immer wieder amüsant, die populärwissenschaftlichen Einträge auf der Wikipedia zur Staatsformenlehre von Aristoteles zu lesen. Einmal abgesehen davon, dass bei ihm jede Form auf der Entrechtung von Sklaven, Besitzlosen und Frauen beruht, kommen uns seine Vorbehalte gegenüber der Demokratie, also der Volksherrschaft bekannt vor.

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Ich zitiere aus der Wikipedia: «Die Demokratie gilt ihm als Herrschaft der vielen Freien und Armen im Staate, die zu Lasten der Tüchtigen und zum Schaden der Wohlhabenden erfolgt. Auch ist es für Aristoteles nicht zulässig, dass die Armen mächtiger als die Reichen sind. Da sie zahlreicher sind und in der Demokratie die Mehrheit maßgeblich ist, bewirke die Demokratie eine Dominanz der Armen.» Dabei ist anzufügen, dass seine ideale Staatsform, die Politie, ebenfalls demokratische Elemente beinhaltet, während die extreme Form der Demokratie fast ohne Gesetze auskommt und sozusagen von Fall zu Fall entscheidet. Hierzu zitiert die Wikipedia Aristoteles selber: «Wo die Gesetze nicht entscheiden, da gibt es die Volksführer (auf griechisch: Demagogen). Denn da ist das Volk Alleinherrscher, wenn auch ein aus vielen Einzelnen zusammengesetzter. {…) Ein solches alleinherrschendes Volk sucht zu herrschen, weil es nicht von den Gesetzen beherrscht wird, und wird despotisch, wo denn die Schmeichler in Ehren stehen, und so entspricht denn diese Demokratie unter den Alleinherrschaften der Tyrannei.» Das tönt für unsere an Facebook, Twitter und Social Truth geschulten Ohren ausgesprochen bekannt, um nicht zu sagen modern.

Wie steht es eigentlich um das Projekt Stuttgart 21? Die Deutsche Bahn hatte sich in den neunziger Jahren darauf kapriziert, den oberirdischen Kopfbahnhof in Stuttgart mit 17 Gleisen durch einen Tiefbahnhof mit 8 Gleisen zu ersetzen. Die jahrelangen massiven Proteste änderten nichts am gestalterischen Willen von CDU und Deutscher Bahn, und jetzt ist es sowieso zu spät. Dass die Kosten zunächst viel zu tief geschätzt wurden, versteht sich von selber, das ist Bestandteil jeder Projektplanung, da braucht man gar nicht nach Berlin zu schielen mit dem neuen Flughafen. Noch vor zwanzig Jahren stand man bei gut 3 Milliarden Euro; heute ist die Rede von 12 Milliarden. Die Inbetriebnahme war einmal für Ende 2019 vorgesehen und wurde immer weiter verschoben. Im Jahr 2018 stellte man Dezember 2025 in Aussicht, im März 2024 hieß es: schrittweise ab Dezember 2025; im Juni 2024 war es Dezember 2026, und im Juli dieses Jahres ging es wieder auf schrittweise ab Dezember 2026. Auch dies erscheint nicht als besonders außergewöhnlich für ein solches Großprojekt, bloß eine Begründung aus dem letzten Jahr hat meine Aufmerksamkeit geweckt: Die Verschiebung auf Dezember 2026 sei notwendig, weil sich die Digitalisierung komplexer gestalte als ursprünglich angenommen, die beauftragte Firma hätte den Besitzer gewechselt, viele Fachleute hätten die Firma verlassen, sodass die Bahn 60 eigene Digitalexperten in die Firma habe schicken müssen. Was das bedeutet angesichts der Kernkompetenz der Deutschen Bahn im Digitalbereich, will ich mir nicht ausmalen, ich weiß nur: Irgendwann wird dieser Bahnhof in Betrieb gehen, vielleicht sogar noch vor der Eröffnung der Internationalen Bauausstellung 2027 in Stuttgart.

Am Montag wurde China Evergrande von der Hongkonger Börse dekotiert. Das Unternehmen hatte lange Zeit als Immobilienunternehmen mit dem schnellsten Wachstum in der Volksrepublik gegolten und wurde auch als Too Big to Fail eingeschätzt. Vor vier Jahren kollabierte es dann unter der Schuldenlast von über 300 Mia. US-Dollar. Übrig blieben abgesehen vom Immobilienbesitz 1300 unvollendete Bauprojekte in 280 Städten; mehrere hunderttausend Käufer der entsprechenden Wohnungen warten immer noch auf die Fertigstellung. Daneben stehen die Schuldner Schlange; es handelt sich um Bauunternehmen, die nicht bezahlt wurden, aber auch Anleger in Europa und in den Vereinigten Staaten, die nun darauf hoffen, dass aus der Konkursmasse doch noch das eine oder andere Vermögensteil für sie herausspringt. Wie zu vermuten, ist das nicht ganz einfach, da sich Evergrande in ein riesiges Netz von Tochtergesellschaften und Partnerunternehmen aufgeteilt hat. Die Liquidatoren haben bis jetzt über 100 Gesellschaften mit Anlagewerten von über 3 Milliarden US-Dollar sichergestellt – ein kleiner Teil der Forderungen. Natürlich richtet sich die Aufmerksamkeit auch auf den ehemaligen Vorsitzenden des Unternehmens, Hui Ka Yan, sowie auf seine Frau Ding Yu Mei und den früheren CEO Xia Haijun; China Evergrande schüttete in den ersten Jahren nach dem Börsengang volle 6 Milliarden US-Dollars an Anlagewerten an die Führungsspitze aus als Entschädigung wofür auch immer. Hui sitzt seit dem Jahr 2023 im Gefängnis; bisher wurde er zu Strafzahlungen von 6.5 Millionen Dollar verknurrt, und man munkelt von verschiedenen Liegenschaften in den Vereinigten Staaten, die er sozusagen in Sicherheit gebracht hate. Xia selber sagt, er besitze nichts mehr.

Der israelische Premierminister Netanyahu hat Berichte über eine Hungersnot im Gazastreifen als Lügen bezeichnet. Das kann niemanden überraschen. Seine Glaubwürdigkeit war noch nie besonders hoch. Was sich verändert hat, ist die Glaubwürdigkeit der israelischen Armee. Zu Beginn des Gazakrieges hatte sie sich noch einigermaßen zurückgehalten und wenn überhaupt halbwegs verlässliche Angaben geliefert. Damit ist es spätestens seit den gezielten Angriffen auf Hilfskonvois und Journalistinnen vorbei. Die israelische Armee hat in der Informations-Kriegsführung ihrerseits auf Lügen umgestellt wie der politische Kommandant. An der Sache ändert sich nichts. In einem Interview äußerte sich der ehemalige Oberst der Bundeswehr und Sicherheitsexperte Wolfgang Richter nun zum Stand und Zustand der Hamas. Richter sagt, dass man das Personal der Hamas zu Beginn des Krieges auf etwas über 30'000 Personen geschätzt habe. Israel gibt an, gut 20'000 von ihnen getötet zu haben, abgesehen von den Verwundeten und Schwerverletzten. Damit wäre die Hamas rein mathematisch am Ende. Aber es gebe einen kontinuierlichen Zulauf von Jungen, nicht zuletzt wegen der Brutalität des Krieges und der Aushungerung. Damit sinke vermutlich die militärische Qualität der Bewegung, aber die Bestände blieben einigermaßen konstant. Da sich die Hamas weiterhin in den unterirdischen Tunnelsystemen bewege, bliebe nur übrig, den ganzen Gazastreifen umzupflügen. Nun, oberirdisch ist diese Arbeit wohl abgeschlossen, und an die Bodenarbeiten scheint sich die israelische Armee nun machen zu wollen.

Sodann erhalten wir aus der Wirtschaft einige Meldungen, wonach die neue Wirtschaftsrealität mit den hohen US-Zöllen nur in einer beschränken Zahl von Fällen zu richtigen Einbrüchen bei Unternehmen geführt hat. Einerseits war dies abzusehen, denn die publizierte Realität zeigt in der Regel nicht die gesamte Wahrheit, sprich Flexibilität der Firmen; anderseits sind in den neuen Zollregimes offenbar doch zahlreiche Ausnahmen enthalten. Eine davon betraf die Goldeinfuhren, die zu schönen Teilen aus der Schweiz stammen, die eine Drehscheibe im globalen Goldhandel ist, wie man sich leicht vorstellen kann. Trump hatte diese zunächst mit den normalen 40 Prozent Zoll belegt, wie sie generell für die Schweiz gelten; allerdings ging man schnell davon aus, dass sich die Administration in den Zollnummern getäuscht hatte, und richtig stellte der US-Präsident anfangs August klar, dass es für Gold keine Zölle geben werde. Zuvor hatte es noch einen Anstieg der Goldexporte gegeben aus Furcht vor den neuen Abgaben; im Juli 2025 führte die Schweig gut 54 Tonnen Gold im Wert von über 5 Milliarden Dollar in die USA aus. Aber eben, die USA brauchen das Zeuchs, wer braucht es nicht, und somit gilt: Schwamm drüber.

Dafür geht die Verstimmung zwischen Frankreich und Algerien in eine nächste Runde. Ausgelöst wurde sie durch die letztes Jahr erfolgte französische Anerkennung der Souveränität von Marokko über die Westsahara, wo Algerien die Unabhängigkeitsbewegung unterstützt und deshalb seit Jahren im Streit mit dem Nachbarn liegt. Vor ein paar Monaten schien sich das Klima zu verbessern nach einem freundlichen Telefongespräch zwischen Abdelmadschid Tebboune und Emmanuel Macron, aber jetzt hat sich der Ton wieder verschärft, zunächst noch auf der Ebene der symbolischen Maßnahmen mit dem Rückruf von Konsularangestellten und mit der Wiedereinführung der Visapflicht für Diplomaten und Staatsvertrterinnen.

Etwas weiter im Osten, in Libyen hat Marschall Haftar seinen Sohn Saddam zum stellvertretenden Kommandanten der libyschen Nationalarmee ernannt, womit der Osten und Süden von Libyen mehr oder weniger zum Familieneigentum der Haftars erklärt werden. Im Gebiet zwischen Libyen und Algerien, also in Tunesien, haben die Gewerkschaften am 21. August eine Demonstration durchgeführt, die mit 2000 Teilnehmerinnen keinen besonderen Erfolg verzeichnete; immerhin handelt es sich um ein Lebenszeichen der Union Générale Tunisienne du Travail, des tunesischen Gewerkschaftsbundes, der über eine Million organisierte Arbeitnehmerinnen vertritt. Die Gewerkschaften stehen unterdessen in offener Opposition gegen den Präsidenten Kais Sajed. Aber eben, die Mobilisierung scheint im Moment nicht gerade die Stärke der Organisation zu sein.

In der Demokratischen Republik Kongo schließlich hat die Staatsanwalt den ehemaligen Präsidenten Joseph Kabila wegen Kriegsverbrechen, Hochverrats und der Gründung einer aufständischen Bewegung angeklagt und verlangt die Todesstrafe. Joseph Kabila ist tatsächlich hin und wieder in Goma im Osten des Kongo anzutreffen, wo die Rebellen des M23 mit Unterstützung Ruandas die Kontrolle ausüben.

In Turkmenistan wiederum hat am 22. August ein Treffen zwischen hochrangigen Vertretern von Turkmenistan, Aserbeidschan und Usbekistan begonnen. Sowohl Gurbanguli Berdimuhammedow, der Präsident Turkmenistans, als auch Ilham Alijew, Präsident von Aserbeidschan, als auch Schawkat Mirziyojew, Präsident von Usbekistan nahmen an diesem Treffen am kaspischen Meer teil.

Aus Thüringen vernehme ich, dass die Zahl der Asylanträge zurückgeht, wie überall sonst in Europa. Über die Ursachen können wir uns hier ein anderes Mal unterhalten.






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Albert Jörimann
26.08.

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