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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Blackrock kauft Häfen
In Frankreich gibt der Staat jährlich ungefähr 850 Mrd. EUR für Sozialleistungen aus, das entspricht etwa 1000 EUR pro Monat und Einwohnerin sowie gut einem Drittel des BIP; in Österreich waren es im Jahr 2021 30% des BIP, in Italien ebenfalls und in Deutschland desgleichen, wobei Restanzen aus der Covid-Finanzierung ins Gewicht fallen.
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Die Sozialausgaben umfassen dabei nicht überall das Gleiche. In Frankreich entfiel fast die Hälfte auf Altersrenten; hier gehen die Lohnbeiträge offenbar direkt an den Staat und belaufen sich auf etwa 15%. 37% der Sozialleistungen wurden für das Gesundheitswesen ausgegeben, dessen Finanzierung ich nicht im Detail kenne, aber immerhin. Für Arbeitslosenentschädigungen und dergleichen gab man 5.6% des Betrages aus, an Sozialhilfen knapp 4%, und knapp 2% gab es an Wohngeldern. Deutschland nahm zum Vergleich bei den Altersrenten im Jahr 2024 304 Milliarden Euro aus Beiträgen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden ein; die Bundeszuschüsse betrugen 92 Milliarden EUR, was ebenfalls knapp der Hälfte des sozialpolitischen Budgets entsprach. Alle Zahlen, die ich aufführe, sind an und für sich richtig, widerspiegeln aber unterschiedliche Realitäten bei der Erhebung und bei der Leistungserbringung, weshalb man sie wirklich nur als Größenordnung betrachten sollte. Die Hans-Böckler-Stiftung errechnete im letzten Jahr einen Anteil von 26.7 Prozent am BIP und schreibt dazu: «In der Schweiz, den Niederlanden und den USA fallen die Quoten mit 17 bis 18 Prozent zwar deutlich niedriger aus. Diese Zahlen sind aber irreführend: In den drei Ländern ist eine private Krankenversicherung weitgehend verpflichtend. Ob man verpflichtend gesetzlich oder verpflichtend privat versichert ist, macht gesamtwirtschaftlich und auch für die einzelnen Versicherten keinen Unterschied, schlägt sich aber in der Statistik nieder. Nimmt man öffentliche, vom Staat vorgeschriebene und freiwillige Ausgaben für Soziales zusammen, so liegen die USA und die Niederlande mit Gesamtquoten von je 30.7 Prozent des BIP sogar gefingfügig vor Deutschland mit 30.4 Prozent, während die Schweiz auf 28.6 Prozent kommt.» Da hat die Hans-Böckler-Stiftung wohl recht. Davon abgesehen will ich für Frankreich noch eine weitere Zahl anfügen, nämlich die Subventionen, die im Jahr 2023 an die privaten Unternehmen geflossen sind; sie machten 220 Mia. EUR aus. Das iwären dann nochmals 250 Euro pro Person und Monat.
Kürzlich veröffentlichte ein Journalist im «Zeit»-Magazin einen Artikel des Inhalts, dass es unterdessen auch in New York hip sei, ein Trumpster zu sein. Nun, den Unterhaltungswert der Lastwagenhupe wird niemand im Ernst in Frage stellen, auch wenn es Unterhaltung von zweifelhafter Güte ist, eben, im Stil von Wrestling, ein kindlich-kindisches Schaulaufen, das sich offenbar auch an der Schlusszeremonie der Club-Weltmeisterschaften im Fußball wieder gezeigt hat, wo es sich die Hupe nicht nehmen ließ, die Trophäe selber zu überreichen; ich habe das Finalspiel zwar nicht gesehen, aber gelesen, dass eine Soldatin oder ein Soldat der US-Armee die US-amerikanische Nationalhymne geträllert habe vor dem Spiel, während über dem Stadion die Flugzeuge der US-amerikanischen Streitkräfte ein paar Defensivmanöver gezeigt hätten, allerdings ohne Bomben zu werfen. Das war also erneut so etwas wie eine kleine Militärparade für den Wrestler aus Anlass von Fußball. Dass FIFA-Generalsekretär Gianni Infantino davon begeistert war, versteht sich von selber. Aber ich wollte ja davon sprechen, dass der erwähnte Journalist offenbar eine Gefahr oder vielleicht besser eine Möglichkeit sieht, dass die Preisgabe jeglicher Contenance und jeglichen intelligenten Diskurses sich nun auch in den Ostküsten-Zentren verbreitet. Ob diese Beobachtung wirklich Substanz hat oder ob es sich nur um einen weiteren Journalisten handelt, der sich mit irgendeiner Meldung egal welchen Inhalts, Hauptsache Aufmerksamkeit, wichtig machen will, kann man dann bei den anstehenden Wahlen des neuen New-Yorker Bürgermeisters beobachten. Neuerdings bewirbt sich auch der frühere dreimalige Gouverneur von New York, Andy Cuomo, für diesen Posten, während die Vorwahlen bei den Demokraten wie schon erwähnt einen linken Kandidaten produziert hatten namens Zohran Mamdani, gegen den sich bereits einige Trump-Idioten unter der Finanzelite ausgesprochen hatten mit dem Vorwurf, er sei ein Islamist. Das gehört selbstverständlich zum Wrestling und könnte mit einem eigenen Fachbegriff bezeichnet werden, ähnlich wie zum Beispiel der Highflyer. Man könnte die entsprechenden Ausfälle der Lastwagenhupe und ihres Fanclubs als Commie-Bash-Bash bezeichnen. Aber das ist völlig fakultativ. Jedenfalls hat der betreffende New Yorker Investor für seinen Commie-Bash-Bash umgehend massive Schelte erhalten, auch aus der Investment-Community, die man vielleicht als Commie-Backlash-Antibash bezeichnen könnte. Eigentlich ist mir das egal, was mir aber nicht egal ist, das ist die Tatsache, dass sich Dinge wie die Lastwagenhupe oder auch die Santscha Pantscha einer gewissen modischen Beliebtheit erfreuen, sie trenden, wie man sagt. Oder vielleicht doch auch nicht.
In einer Beziehung bin ich nicht besonders erstaunt über diese neumittelalterliche Hirnverschiebung, nämlich da, wo das vermeintlich fortschrittliche Lager seinerseits alle Vernunft preisgegeben hat. Ich spreche selbstverständlich von all den Anstrengungen, vielmehr vom Gebrüll rund um Diversität, Antirassismus, Antikolonialismus, kulturelle Aneignung und so weiter. Die Themen auf diesem breiten Feld sind für sich genommen keine Fiktionen, es handelt sich um echte Problemfelder, die es verdienen, dass man sich damit beschäftigt. Aber bitte etwas seriöser, als es all die Legionen von frisch gebackenen Studenten und Studentinnen tun, welche sich geradezu neurotisch auf alle öffentlichen Äußerungen der ganzen Welt stürzen, um darin möglichst einen Beweis eines Fehltrittes zu finden. Das jüngste Beispiel für den entsprechenden Aufruhr finde ich in der Berichterstattung über die Feier des 18. Geburtstages des spanischen Fußballers Jamine Lamal, bei welcher das Catering und die Bedienung der Gäste durch eine Gruppe von Kleinwüchsigen erfolgte. Es versteht sich von selber, dass die zuständigen Organisationen und Interessengruppen laut, betroffen und protestierend aufschrien von wegen Verletzung der Rechte kleinwüchsiger Personen, menschenverachtender Einstellung und den Rest kann man sich selber vom Internet herunter laden. Einer dieser Kleinwüchsigen, der allerdings seinen Namen nicht preisgeben wollte aus den bekannten Gründen – nämlich weil der dann den Zorn und den Scheißsturm der Interessengruppen auf sich persönlich lenken würde –, sagte der New York Times, dass dies nun mal ihr Broterwerb sei. «Wir tun das, weil wir es wollen. Niemand zwingt uns dazu. Wir sehen uns als Künstler und betreiben das schon lange Zeit. Die Interessenverbände haben uns nie zu unserer Einstellung zu dieser Arbeit gefragt.» Na, weshalb sollten sie auch; sie wissen es ja sowieso besser.
Leider befinden sich ein paar Menschen dieser Sorte auch in meinem persönlichen Umfeld, und ebenso leider muss ich einräumen, dass sie nicht einmal unsympathisch sind, mindestens nicht alle; aber was die so produzieren in ihren vermeintlich kritischen Köpfen, das ist manchmal schwer zu ertragen. Eine von ihnen findet zum Beispiel, die Instanzen innerhalb unserer Wohnbaugenossenschaft seien zu wenig divers; es werden also nicht durchs Band auch die Interessen von farbigen Mitbewohnerinnen, transgender- und nonbinären Personen wahrgenommen, zum Beispiel. Nun haben die Instanzen einer Wohnbaugenossenschaft relativ oft auch mit den Fragen rund ums Wohnen zu tun, vielmehr sind sie exakt aus diesem Grund bestellt worden, und wohnen ist halt nicht immer nonbinär, transgender oder nach Hautfarben eingerichtet. Soweit solche Instanzen zudem noch einen demokratischen Charakter haben, müssen sie ja auch, aus Sicht der Kritikerinnen: leider Gottes, aber aus Sicht des demokratischen Charakters: wegen des demokratischen Charakters die Strukturen der Bewohnenden widerspiegeln, und wenn sich hier halt niemand findet, die oder der bereit ist, die Interessen der unterschiedlichen Hautfarben oder der Transpersonen und so weiter und so fort gleichzeitig mit jenen der anderen Bewohnenden zu vertreten, dann wird das schwierig. Auch die Konflikte, die unterdessen zwischen den klassischen Feministinnen und den Aktivistinnen aus dem Diversitätsspektrum ausgebrochen sind, zähle ich in diese Kategorie, und auch sie haben bei uns ein kleines Echo; und während ich an und für sich gar nichts gegen diese Diskussionen habe, nicht zuletzt deshalb, weil sie mich nicht betreffen, aber auch, weil sie mich nicht interessieren, so ist mir doch nicht entgangen, wie irrational die Aktivist:innen zum Teil vorgehen. Nicht zuletzt ersetzen sie das Argument vorsichtshalber durch Gebrüll und Denunziation, was sie leider genau auf die gleiche Ebene stellt wie die Lastwagenhupe und ihre Verstärkerinnen.
Wie auch immer. Einem weiteren Artikel, diesmal aus einem Kundenmagazin einer mittleren Bank, entnehme ich, dass der Vermögensverwalter Blackrock, dem hin und wieder auch euer Bundeskanzler zugearbeitet hat, weitere 45 Häfen übernehmen will, und zwar von der Hongkonger CK Hutchison; diese muss einen Teil ihres Geschäfts, vor allem am Panamakanal, verkaufen wegen der Drohungen der Lastwagenhupe, und so kann Blackrock zusammen mit der Genfer MSC die Anlagen für 22.8 Mia. Dollar erwerben. Damit betreibt Blackrock schon 100 Hafenanlagen. Das Kundenmagazin macht gleich ein paar Angaben zum Wachstum von Blackrock: Anfang der 2000-er Jahre hätten die verwalteten Vermögen 165 Mia. Dollar betragen und die Zahl der Mitarbeitenden 650; im April 2025 lauten die entsprechenden Werte 11.584 Billionen Dollar und 23'000 Mitarbeitende. Dabei verändere sich die Anlagepolitik und solle nun einen Aktienanteil von nur noch 50%, einen Anteil von Anleihen von 30% und neu einen Anteil von 20 Prozent für Investitionen in privaten Märkten umfassen. Die privaten Märkte beinhalten hauptsächlich die nicht börsenkotierten Anlagewerte sowie Privatkredite. Vor den Hafenanlagen hätte Blackrock schon im letzten Herbst den US-Investmentfonds Global Infrastructure Partners übernommen für 12.5 Mia. US-Dollar und sei nun der größte Anlagenmanager im Infrastrukturbereich. Bei den Privatkrediten kaufte Blackrock im Dezember die US-Firma HPS Partners mit einem verwalteten Vermögen von 148 Mia. Dollar. Das Magazin schreibt, dass in diesem Bereich die Investmentgesellschaften zunehmend an die Stelle traditioneller Kreditgeber treten würden, welche sich aufgrund strengerer Vorschriften vom risikoreichen Kreditgeschäft abwenden. Ebenfalls expandiert wird im Bereich Private Equity, ach, es wird überall expandiert. Der Artikel enthält übrigens in einem Kasten noch den Hinweis, dass Blackrock unterdessen und im Einklang mit den Vorgaben der Lastwagenhupe die ESG-Kriterien gekippt habe, also Umwelt, soziale Anliegen und anständige Governance. Auch aus der Null-Emissions-Initiative Net Zero Asset Managers hat sich Blackrock mit Amtsantritt der Lastwagenhupe zurückgezogen. Sollte jemals wieder eine andere Regierung an die Macht kommen in den Vereinigten Staaten, wird sich Blackrock ohne den geringsten Zweifel dieser Initiative wieder anschließen.
In einem anderen Artikel behauptet das Kundenmagazin, dass in Japan nach dreißig Jahren wirtschaftlicher Stagnation und Deflation wieder wirtschaftlicher Optimismus herrsche. Das äußert sich auch im Börsenindex Nikkei, der im Jahr 2024 fast 20% gewonnen hat; im Vorjahr waren es sogar gewaltige 283 Prozent gewesen. «Diese guten Ergebnisse stehen im Zusammenhang mit der Rückkehr der Inflation», schreibt das Magazin. Die Preissteigerungen hätten es der japanischen Zentralbank erlaubt, ihren Leitzins seit dem Frühling letzten Jahres drei Mal anzuheben; er steht jetzt bei 0.5 Prozent. Ein Treiber für die Preiserhöhungen lägen bei den erheblichen Lohnanstiegen der letzten drei Jahre; 2024 hätten die Löhne um 5.31 Prozent zugelegt, und nun hat auch der neue Präsident Shigeru Ishiba angekündigt, dass er den Mindestlohn in den nächsten 5 Jahren von 1055 Yen auf 1500 Yen anheben will. Sieben Prozent im Jahr. Im Überschwang der Begeisterung erlaubt sich die Autorin Julie Zaugg noch einen Lapsus. Sie schreibt, die Bargeldreserven der japanischen Haushalte würden sich auf 105'300 Mia. Yen belaufen, «was dem kombinierten BIP von Großbritannien und Deutschland entspricht». Da hat sich Frau Zaugg in der Größenordnung vertan. 105'000 Milliarden Yen entsprechen etwa 610 Milliarden Euro, und Großbritannien und Deutschland erzielen zusammen ein Bruttoinlandprodukt von an die 10 Billionen Euro. Aber wenn man derart gut drauf ist und erst noch von Inflation schreibt, kann einem das schon mal passieren.
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Albert Jörimann
22.07.