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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Der große Zivildienst

Eure tapfere Verteidigungsministerin, deren Namenskürzel die Bezeichnung für die bulgarische Kopie einer Kalaschnikow ergeben, hat Russland mit einem atomaren Vergeltungsschlag gedroht, falls..., ja falls was?

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Falls die Flieger, also die russischen Kampfflugzeuge weiter fliegen, nämlich über das Territorium beziehungsweise im Luftraum der baltischen Staaten oder über dem Schwarz­meer? Ihre Formulierung, wenn ich sie richtig gelesen habe, bezieht sich eher auf weiter gehende Kampfmaßnahmen, nämlich einen Angriff auf ein Nato-Mitgliedland, eben zum Beispiel im Baltikum, während die Ukraine nach meinem Wissensstand aktuell noch nicht zur Nato zählt und weiterhin brav Militärtechnik an die Türken und Nordkorea liefert. Wie auch immer: Brav gespro­chen, Frau Kramp-Karrenbauer, aber weshalb sollte Wladimir Putin jetzt ausgerechnet Litauen erobern wollen? Als territoriale Ergänzung von Königsberg, vielleicht, weil zusammenkommen muss, was zusammen gehört, wie beim Chineserer der Staat Taiwan nun endlich ins abschließende Volksheiligtum der Kommunistischen Partei integriert werden muss? – Was für ein Quatsch, was für ein sinnloses Geschrei mit «Bild»-Schlagzeilen, was für eine unnötige Vergeudung von Welt-Zeit, die zudem sowieso niemand ernst nimmt, und zwar nicht etwa, weil man einen russischen Angriff auf Litauen befürwortet, sondern weil ein solcher außerhalb jeglicher vernünftiger Überlegung steht.

Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland seien auf einen historischen Tiefpunkt gesun­ken, lese ich mehr oder weniger überall und mehr oder weniger zwölf Mal pro Jahr seit zirka zwölf Jahren – aber wieso denn, inwiefern denn? Viel tiefer als damals, als die Amis die Russen über den Tisch zogen und innerhalb von 10 Jahren die Nato-Ost­grenze bis an die Grenze Russlands verschoben, können diese Beziehungen historisch nicht sinken, mit anderen Worten: die Bezie­hun­gen zwischen dem Westen und Russland sind aus­ge­zeich­net wie eh und je, wenn man mal das diplomatische Geplänkel beiseite lässt und die autoritär-auto­kra­ti­schen Allüren von Gospodin Wla­di­mir Wladimirowitsch; aber das ist eh ein anderes Kapitel und nicht Gegenstand der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Eher vielleicht könnten es die militärischen Fühler sein, wel­che General Wladimir Wladimirowitsch nach Afrika ausstreckt, zusammen mit dem Türkpascha Erdopampel; hier werden gegenwärtig Einflusssphären definiert, ob neu oder alt, weiß ich nicht mal, dagegen weiß ich, dass die Afrikanerinnen dazu schon wieder einmal überhaupt keinen Papp sagen oder allenfalls auf jener Ebene, dass die oberste Religionsbehörde im Mali sich für einen Dialog mit den Islamerern ausspricht, aber so etwas läuft zunächst einmal sowieso unabhängig vom Gerangel zwischen Russen und Türken und Franzosen, genauso wie die wirt­schaft­lichen Koloniali­sie­rungs­anstrengungen der Chines:innen wenig zu tun haben mit den mili­tärischen Kapriolen der Garanten des Weltfriedens. Alles normal. Und dass der Erdopampel sich anschickt, die Botschafter von 10 europäischen Staaten auszuweisen: geschenkt; ich würde mich erstens sowieso wundern, wenn es überhaupt dazu käme, aber falls dem so ist, dann sind diese Botschafter in wenigen Tagen zurück im Land, andernfalls müsste man dem Erdopampel tatsäch­lich den völligen Zerfall seiner Kopfpampelmuse diagnostizieren. Was mich zur Frage führt: Wer folgt eigentlich auf den Erdo­pam­pel, wenn der irgendwann mal abtritt? Eine Erdnuss? Jener Schwiegersohn, der sich mal als Finanzminister versuchte, oder jener andere, der Drohnen bastelt? Viel Vergnügen wünsche ich schon jetzt.

Viel Vergnügen wollten sich offenbar am Wochenende ein paar Neonazis verschaffen, die sich bei Frankfurt an der Oder zur Jagd versammelten auf illegale Immigrant:innen, die trotz den scharfen Kontrollen die Grenze zwischen Weißrussland und Polen überschritten hatten und jetzt in die EU weiterziehen wollen. Flüchtlinge klatschen, was für eine tolle Idee! Das Muster bei den rechts­extre­men Saubanden ist immer dasselbe: in Gruppen zusammen gerottet ein paar einzelne Individuen verprügeln, eigentlich ist es dann egal, ob es sich um Flüchtlinge handelt oder um Punks oder Linke. Wie immer ist es eine Etappe auf jenem Weg, der in irgendeinen Nationalsozialistischen Untergrund führt; Totschlag wird vorderhand noch billigend in Kauf genommen, aber es gibt dann irgendwann mal kein Halten mehr. Vor zwanzig Jahren brannten die Asylantenheime, jetzt geht der Nachwuchs der rechtsextremen Feiglinge also an der Oder auf die Pirsch. Man fragt sich wirklich, was da zu tun ist. Diskussionen mit dem Gesocks führen sowieso nirgendwo hin. Solange die Polizei die Brunz- und Schläger-Faschisten im Griff behält, wie es offenbar in Frankfurt der Fall war, solange braucht man immerhin nicht den eigenen Gewalt­phantasien nachzugehen, aber dass dieses Pack auch auf der linken Seite die alten Ressentiments weckt, das versteht sich von selber. Auf einer linken Seite notabene, die sich grundsätzlich nicht auf die Schwächsten stürzt, um sie zu verprügeln, zu verbrennen und zu erschießen, sondern die sich mit den Mächtigen und mit dem Staat anlegt, was moraltheologisch doch einen erheblichen Unterschied bedeutet.

Unsereins pflegt sich seine Vergnügungen in anderen Bereichen zu organisieren, namentlich dort, wo wir uns mit der Zukunft beziehungsweise mit einer besseren Organisation der Gesellschaft, des Zusammenlebens, des Wirtschaftens und so weiter beschäftigen. Man kann in diesem Bereich gleichzeitig frei und konkret sein. Zum Beispiel kann man verlangen, dass die Überhang-Mandate im Bundestag als erster Beschluss des neuen Parlamentes abgeschafft werden, ohne dass mit dieser Forderung auch nur die kleinste Ver­bes­serung, zum Beispiel bei einer Kindertagesstätte oder beim Bafög, erreicht wird. Das heißt, mit der Forderung sowieso nicht, aber mit ihrer Erfüllung, natür­lich. Sie zählt zum großen Themenkreis der Abschaffung der staatlichen Bürokratie, welche grundsätzlich den Abbau von Regulierungen und Formalitäten umfasst, die Steigerung der Effizienz des vorhandenen Personals und mit Sicherheit die Abschaffung des Beamtenstatus, soweit es den überhaupt noch gibt. Ich weiß nicht, wieviel dran ist an den Schauermärchen von Berlin, die man hie und da zu hören bekommt, zum Beispiel bei der Beschaffung einer Niederlassungsbestätigung, für welchen Amtsakt grundsätzlich ein Mausklick reicht, vielleicht noch ergänzt durch die manuelle Bestempelung des ausgedruckten Dokuments, aber in der deutschen Hauptstadt scheint man für so etwas durchaus mehrere Wochen warten zu müssen, vielleicht abhängig vom Stadtbezirk, wobei offenbar in Berlin diese Bezirksverwaltung nach Möglichkeit selbständig arbeiten und vor allem mit unterschiedlichen Programmen und Datenbanken. Das ist natürlich die prächtigste Ausformung jener staatlichen Bürokratie, die wir zum Beispiel aus dem Braven Soldaten Schwejk kennen, also aus der k.u.k.-Monarchie, die man sich jetzt einfach potenziert um die Mittel der Digitalisierung vorstellen muss. Das funktioniert offenbar auch, respektive: das dysfunktioniert offenbar ganz prächtig. Auch die Bildung zu modernisieren, sowohl in Bezug auf die Unterrichtsformen und -mittel als auch in Bezug auf die Ausbildung des Lehrpersonals und seiner Bezahlung als auch in Bezug auf die Infrastrukturen, einschließlich Gebäude und Fenster, scheint nicht a priori ein Ding der Unmöglichkeit zu sein und auch nicht eine Frage der parteipolitischen Zugehörigkeit, sondern ausschließlich eine Frage des politischen Willens und seiner Durchsetzungskraft. Was man so hört, besteht in dieser Beziehung bei der heranrollenden Regierung Konsens; aber diesen Konsens gibt es wohl schon seit dem Jahr 1966.

Neben solch einfachen Dingen, von denen man sich bloß fragt, weshalb sie nicht einfach gemacht werden beziehungsweise weshalb nicht irgendwann mal eine politische Partei entsteht, welche bundes­weit konkrete und zwingende Reformvorschläge vorlegt und aufgrund dieser Vorschläge dann auch die absolute Mehrheit in allen Parlamenten erhält; das wäre schon mal ein kleiner Schritt in die richtige Richtung;

neben solchen einfachen Dingen also dürfen die Gedanken auch weiter schweifen. Bei allem Ver­ständ­nis für die permanente Aufrüstung auf der Welt unter dem Namen der Verteidigungs­bereit­schaft, für welche ich angesichts der Entwicklung der globalen Kräfteverhältnisse eben das er­wähnte Verständnis aufbringe, muss man doch immer wieder in Erinnerung rufen, dass wir eigent­lich eine friedliche Gesellschaft geplant hatten – und übrigens in Europa nun auch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einigermaßen hingekriegt haben. 76 Jahre Frieden in Europa – da muss man weit zurückblättern im Geschichtsbuch. Halbwegs stabil verhielt sich noch das 18. Jahrhundert mit den ungeheuren wirtschaftlichen und technischen Umwälzungen, welche die Kriegsinteressen vorübergehend in den Hintergrund treten ließen, bis vielleicht auf den Großen Nordischen Krieg, den spanischen Erbfolgekrieg, den Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg, den Polnischen Thronfolgekrieg, den Russisch-Österreichischen Türkenkrieg, den Österreichischen Erbfolgekrieg, ach ja, noch ein paar weitere, zum Beispiel den Siebenjährigen Krieg, ja, eben, unsere Zeiten sind relativ friedlich, auch wenn sie geprägt sind von Spannungen und einem sinnlos kriegerischen Vokabular, ärgerlicherweise auch im sozialdemokratischen Medienkonsens. Davon einmal abge­sehen kann man sich doch vorstellen, dass der Austausch zwischen den Ländern und den Bevöl­ke­rungen auf der konkreten Ebene einmal richtig vorangetrieben wird, damit die Vorurteile purzeln und wirkliche Beziehungen zwischen den Menschen geknüpft werden können. Und hier meine ich nun nicht den Bevölkerungsaustausch, wie er in den deutschen Irrenhäusern manchmal vorgebracht wird. Nein, ich stelle mir vor, dass man in der modernen Gesellschaft einen obligatorischen Zivil­dienst für alle einführt, der je nach politisch-militärischen Bedürfnissen als Militärdienst geleistet werden kann, der aber sonst ganz allgemein der Ausbildung und auch der individuellen Ent­span­nung und dem persönlichen Wohlergehen dient; ein solcher Dienst müsste auch Aus­land­aufenthalte beinhalten, zum Beispiel in Russland oder in Rumänien, wo man mit einer Hundertschaft von Zivil­dienst­leis­tenden einfallen täte und sich an den lokalen Spezialitäten gütlich täte, gleichzeitig Hand anlegen täte in den dortigen öffentlichen Parks, zum Beispiel, man könnte sogar Schulhäuser instand stellen, was weiß ich, und gleichzeitig würden die rumänischen Zivildienstleistenden in Berlin die Wahllokale sanieren. So etwas ist mit links einzuführen und zu organisieren, da jedes Land bereits über die entsprechenden Strukturen verfügt und nur noch die jeweiligen Delegationen aus dem Ausland einpassen müsste.

Ich glaube übrigens, dass die Idee als solche nicht neu ist; unter den sozialistischen Brüderstaaten fanden solche Austausche meines Wissens regelmäßig statt, wenn auch nicht so systematisch, wie ich es jetzt vorschlage. Im Übrigen stelle ich mir einen Zivildienst vor, der nicht in einem Rutsch zu absolvieren wäre, sondern den man, sagen wir mal alle zehn Jahre auffrischen würde. Bei dieser Gelegenheit müsste auch das Grundlagenwissen über den modernen Stand der Technik und so weiter in Kursen aktualisiert werden; da würden zum Beispiel alle Teilnehmenden automatisch das neueste iPhone oder das neueste Smartphone erhalten und im Gebrauch davon unterwiesen. Weil es obligatorisch ist für alle, Bettler:innen wie Milliardär:innen, würden ganz interessante neue Pro­ble­me auftauchen, die zu lösen für die demokratische Gesellschaft eine besonders spannende Herausforderung würde. Und zum Schluss eröffnet sich hier eine Gelegenheit, auch etwas auf dem Gebiet des völlig neuen Feldes der zunehmenden Lebenserwartung zu unternehmen. Die aktuelle Gesellschaft weist in dem Bereich eine klaffende Lücke auf.

Das ist jetzt nicht gerade das allergrößte Luftschloss, das man sich in Bezug auf die Zukunft der Menschheit aufblasen kann. Es ist eigentlich überhaupt kein Luftschloss. Es ist nichts weiter als ein konkretes Projekt für die Verständigung unter den Menschen, ganz einfach in die Praxis umzusetzen.


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Albert Jörimann
26.10.2021

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