Mediathek

"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Marsfahrt

Habe ich das richtig verstanden: Frau Baerbock hat in absteigender Reihenfolge dem Bundestag eine Summe von 25'000 Euro nicht gemeldet, die sie in ihrer Funktion als Abgeordnete einge­stri­chen hat, zweitens verschiedene Angaben in ihrem Lebenslauf verändert, ich will hoffen: geschönt, und drittens in ihrem neuesten Buch «Jetzt» bei mehreren Passagen nicht angegeben, wo sie die her hat beziehungsweise wo sie sie eins zu eins abgeschrieben hat...

artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_27_200px.png


>> Download

...wobei mir die Plagiatssoftware des Salzburger Wissenschaftsdetektivs Stefan Weber nicht zur Verfügung steht, sodass ich weder das eine noch das andere eins im Wortlaut überprüfen kann, will sagen: Äs äscht mär worscht. Was in der Frau Baerbock ihrem Buch steht, mag abgeschrieben sein oder nicht, es handelt sich in jedem Fall um millionenfach vor ihr geäußerte und millionenfach weiter verbreitete Floskeln aus dem grünen Gedankengut, die auf ein Plagiat hin zu untersuchen wirklich eine besonders originelle Hirnstruktur voraussetzt.

Der Herold des freien Unternehmertums, nämlich die Neue Zürcher Zeitung, frohlockt bereits, dass Frau Baerbock erledigt sei. Der Deutschland-Korrespondent Christoph Prantner zählt die drei Kardinalsünden auf unter dem Titel «Fall Baerbock: Gutachter spricht von Schlamperei, Unsau­berkeit und dilettantischem Vorgehen», wobei es sich bei Stefan Weber durchaus um einen Gutachter handeln mag, bei dem allerdings niemand ein Gutachten eingefordert hat, der also im eigenen Auftrag Untersuchungen durchführt, wodurch der Titel «Gutachter» im konkreten Zusammenhang genauso erschwindelt erscheinen mag wie die Allerwelts-Plagiate von Frau Baerbock. In der Sonntagsausgabe der NZZ hält die ebenfalls Deutschland-Korrespondentin Silke Mertins die Grünen-Chefin für erledigt. «Sie hat's verbaerbockt», schreibt sie unter Aufbietung aller sich aufdrängenden Stilmittel und setzt im Untertitel nach: «Frust und Panik bei den Grünen nach Baerbocks neuen Schnitzern». Laut Frau Mertins stehen die Grünen kurz davor, Frau Baerbock durch Robert Habeck zu ersetzen, so katastrophal sei ihre politische Performance in den letzten Tagen gewesen.

Wenn die NZZ das schreibt, wird das wohl stimmen, der Herold des freien Unternehmertums hat per Definition recht. Mir selber erscheint das Ganze allerdings eher wie ein vom Wahlkampfteam der deutschen Grünen eingeleiteter Schachzug, um die eigene Kandidatin nicht schon jetzt als unantastbare Strahlefrau erscheinen zu lassen. Aus wahlstrategischen Gründen muss man ihr unbedingt irgend etwas ans Bein heften, sonst steht die in den letzten Wochen vor den Wahlen derart unbefleckt da, dass schon Vorwürfe wie der, einmal bei einem Einkaufs-Wägelchen bei Aldi einen falschen Fuffziger in den Schlitz gesteckt zu haben oder zwei Mal hintereinander zum Frühstück keine Hafermilch getrunken zu haben, riesige schwarze Tintenkleckse auf der ansonsten reinen Weste von Frau Baerbock erzeugen täten. Das muss man verhindern, indem man die entsprechenden Energien möglichst frühzeitig abfackelt. Ja, diesen Eindruck habe ich tatsächlich, vor allem wegen des Kalibers der Vorwürfe. Und damit hat sich die Angelegenheit erledigt.

Eine andere Entwicklung beobachte ich mit etwas größerer Verwirrung. Elon Musk hat seine Firma SpaceEx schon vor gut 20 Jahren gegründet, ich weiß nicht aufgrund welchen Business Plans, ursprünglich ging es offenbar um den Betrieb von Satelliten in Erdumlaufbahn zu Beobachtungs-, Kommunikations- und was auch sonst noch für Zwecken, und offenbar besteht für diesen Geschäftszweig wie für verschiedene andere auch eine eigene Wirtschaftlichkeitsrechnung. Seither ist SpaceEx eine Hauptlieferantin von Raumfahrttechnik für die Vereinigten Staaten, und irgendwann mal begann Musk mit Plänen für die interstellare Raumfahrt. Das hat nun aber seine Milliardären-Brüder geweckt, mindestens jene mit einem Hang zur Öffentlichkeit. Richard Branson bewirbt sich ebenfalls um eine Mars-Lizenz, zunächst einmal mit Raumflügen seiner Firma Virgin Galactic. Und der dritte Marsmensch ist Jeff Bezos, der ebenfalls schon vor 20 Jahren eine Welt­raumfirma gegründet hat mit dem Namen Blue Origin. Ist die Marsfahrt nun eine Art Fliegen­fischen für Multimilliardäre geworden? Früher hat man das noch einigermaßen Ernst genommen und die ersten Menschen im All wie zum Beispiel Juri Gagarin mit einigem Respekt behandelt. Mit dem Auf- und Eintritt von Branson ins Geschäft oder mindestens in die Publicity haben wir allerdings eine weitere Schwelle unterschritten, denn Branson ist nur gerade 4 Milliarden Dollar schwer. Wo soll das noch enden? Drängen sich da bald auch Figuren wie die deutlich reichere Susanne Klatten um die Startrampe? Und wo bleibt überhaupt die Allianz für Deutschland, deren Ansichten ganz ohne Raketen schon hinter dem Mond sind?

A proposito Allianz für Deutschland: Die national verbohrten Rechtsparteien Europas haben sich wieder mal zu einer Allianz für Europa zusammengeschlossen. Der Newswert dieser Mitteilung ist beschränkt, im Gegensatz zur Feststellung von Donald Tusk, der bei seiner Rückkehr in die polnische Politik als Chef der Mitte-rechts-Partei Bürgerplattform den Vorwurf erhob, der halbe Kaczinsky-Zwilling und seine Partei Recht und Ordnung sei mit dieser Allianz nichts anderes als der Erfüllungsgehülfe von Wladimir Wladimirowitsch in Europa. Das ist angesichts des neuro­tischen antirussischen Reflexes von Kaczinsky sowieso schon lustig; daneben erinnert mich Tusk mit dieser Aussage an den Papageien-Chorgesang von den üblen russischen Geheimdiensten, welche die Infrastrukturen und Kommunikationskanäle der westlichen Staaten ausspionieren und, was allerdings nie direkt bestätigt wird, sondern immer nur ungesagt mitschwingt, sabotieren würden. Es vergeht praktisch kein Tag ohne eine entsprechende Meldung in allen vertrauens­wür­digen Systemmedien. Dabei ist immer unterstellt, dass die Geheimdienste der USA nicht nur gut seien, sondern auch sich einen Deut um die russischen Infrastrukturen und Kommunikationskanäle scheren würden, von denjenigen ihrer deutschen Herzensbrüder und -schwestern ganz abgesehen. Was von diesen Implikationen zu halten ist, haben wir kürzlich bei den Meldungen über die Zusammenarbeit des dänischen Geheimdienstes bei der Überwachung der eigenen Leute gesehen, und ich will unzerlegt einen Fiat-Panda-Motor aus dem Baujahr 1996 fressen, wenn der deutsche Geheimdienst es nicht genau so hält – wofür sind die denn da, schließlich! Was aber die tatsächliche Cyber-Kriminalität angeht, so halten wir uns doch an die jüngsten Lösegeldforderungen an einen Betreiber von Erdölpipelines in den USA sowie an jene Unternehmen, die durch eine Lücke im Sicherheitssystem der Firma Kaseya in Florida angreifbar wurden, unter anderem die schwedische Coop-Supermarktkette. Solche Angriffe kommen nicht vom russischen Staat oder vom russischen Geheimdienst, übrigens auch nicht vom deutschen oder schweizerischen Geheimdienst aus, sondern von ganz simplen Cyberkriminellen, die sich dabei durchaus russischer Server bedienen können, aber auch welcher in Stuttgart oder in Nîmes oder vielleicht in Caracas oder Managua.

Aber zurück: Hat Putin nun seine Freude an der Allianz der rechtsextremen Parteien in der EU oder nicht? Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht, obwohl zum Beispiel der Lega-Chef Salvini mit Sicherheit schon ein paar Millionen aus Moskau überwiesen erhalten hat, aber was macht das schon aus im Verhältnis zum Ertragswert der italienischen Politik, wo ihm aktuell gerade Giorgina Meloni den Rang abzulaufen scheint? Einen übergeordneten, sozusagen transzendentalen Nutzen jenseits des üblichen Gerangels um Positionen und Subventionen wird sich der Häuptling aller Borussen kaum versprechen, also lassen wir Donald Tusk halt auf seine satirische Art Wahlkampf betreiben.

Daneben kann ich euch mitteilen, dass Albanien das einzige NATO-Mitgliedland ist, das sich an internationalen Truppenmanövern unter Leitung der Türkei beteiligt, zusammen mit Aserbaidschan, Qatar, Kasachstan, Pakistan und Usbekistan. Nun ja, auch die Türkei selber ist ein NATO-Mitgliedland, aber eines mit einem zweifelhaften Status, aber immerhin mit einer funktionierenden Rüstungsindustrie. Neben den bekannten Bayraktar-Drohnen des Erdopimpel-Schwiegersohnes machen die unter anderem auch Panzerfahrzeuge, die sich auf schwierigem Gelände flink bewegen können, ich weiß nicht, ob die dann Gazelle oder Hirsch oder eben sogar Fuchs heißen wie euer Spähpanzer. Jedenfalls haben die Türken jetzt zwei dieser exzellenten Fahrzeuge in den Kosovo geliefert. Die Militärmanöver erwähne ich aber nicht in erster Linie wegen der Nato und ähnlicher Ereignisse, sondern weil ich finde, dass hier ein Land wirklich fehlt, nämlich Turkmenistan. Was ist nur los? Turkmenistan kann ruhig als die Geburtsstätte des Türkentums bezeichnet werden, und die lassen sich von den Machtphantasien des Erdopimpels einfach nicht anstecken? Jedenfalls bleiben sie mit ihren Militärausgaben hinter dem NATO-Ziel von 2% des Bruttoinlandprodukts zurück; im Jahr 2017 waren es nur 1.8%. Der Personalbestand der Armee beträgt 35'000 Fachpersonen; die Erneuerung des sowjetischen Waffenarsenals wird hauptsächlich von chinesischen, russischen und dann doch wieder türkischen Lieferanten betrieben.

Und dann war da noch die Meldung, dass die chinesischen Behörden das Herunterladen der Fahrgemeinschafts-App Didi verboten haben, weil die Besitzer des Unternehmens illegal die Daten der Benutzerinnen speicherten. Das ist eine wunderbare Meldung aus dem Paradies des Datenschutzes! Sie lässt einen schon beim Frühstück schmunzeln, was abgesehen von allem anderen recht bedrohlich sein kann, wenn man den Mund voll hat. Aus diesem Grund sollte man eigentlich sowieso nie schmunzeln, sondern immer gerade heraus und laut lachen, immer unter der Bedingung, dass es etwas zu lachen gibt. Wie zum Beispiel das Pensionsalter für Frauen in China: Es liegt bei 50 Jahren beziehungsweise für Frauen in Führungspositionen bei 55 Jahren. Offenbar häufen sich nun die Fälle, wo Frauen vor Gericht das Recht erstreiten wollen, über das Pensionierungsalter hinaus arbeiten zu dürfen.

Und sonst? Offenbar wollt ihr euren politischen Stabilitäts- und Stillhaltepakt in Thüringen nicht über die Bundestagswahl im Herbst verlängern und bestellt den Landtag neu. Da sind wir mal gespannt, vor allem in Bezug auf das Abschneiden der Linken nach der Corona-Pause. Und dann scheint das schon ausgestorben geglaubte Messerstechen auch bei Euch wieder in Mode zu kommen. Ich verstehe das nicht. In der Schweiz wird zu jedem Paar Hose ein Sackmesser mitgeliefert, so wie jedes erwachsene Männchen ein Sturmgewehr zu Hause im Schrank stehen hat, aber dieses Sackmesser benutzt man doch in erster Linie zum Einschneiden der Cervelat-Würste, bevor man sie auf dem Bratspieß über dem offenen Feuer röstet. Als Argument jedenfalls oder auch nur als Instrument einer Meinungsäußerung ist das bei uns ausgesprochen unbeliebt.


Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
06.07.2021

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.