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LP der Woche vom 05.07.2010 "The Fall - Your Future Our Clutter"

Aufgenommen in verschiedenen nordenglischen Studios während des vergangenen Jahres ist „Your Future Our Clutter” das Domino-Debüt für die Band um Mark E. Smith.

Es ist gleichzeitig das zügelloseste, zielstrebigste, durchrüttelndste und natürlich wieder mal beste The-Fall-Album aller Zeiten.
Die neun Tracks rocken wie wild, und wir hören The Fall in der neuen Dekade mit derselben Intensität spielen, mit der sie einst in den 70ern 70er-Jahren begannen.
„Your Future Our Clutter” präsentiert The Fall und Mark E. Smith aufrecht stehend mit einem Funkeln im Auge. Das Album ist so wie das derzeitige Line-up der Band: kompakt und schnell. Smith, der sich selten vom Wert seiner Musiker blenden lässt, war diesmal dennoch vom hörbaren Ergebnis überzeugt: „Ich liebe diese Band, sie ist die beste, die ich jemals hatte. Ich wusste, dass ich das sagen würde, aber bitte.“
„Bury Pts. 1 + 3“, der zweite Track vom neuen Album, ist ein Song in drei Teilen. Oder besser gesagt: derselbe Song, dreimal hintereinander. Zuerst erklingen ein paar aus dem Übungsraum direkt auf Kassette herausgeschossene Riffs, dann kommt eine Version, die vielleicht schon durch einen Entzerrer ging, dann der Song in all seiner finalen Pracht: ein knurrendes Fall-Meisterwerk.
Die Evolution eines Songs vom verrauschten Tape bis zur großformatigen Stereoversion ist eine Metapher für das, was Mark. E. Smith in letzter Zeit durchgemacht hat. „Ich begann mit diesem Song, als ich mir grad mein Bein gebrochen hatte und im Rollstuhl saß“, erinnert sich Smith. „Ich nahm diese schrecklichen deutschen Schmerztabletten, und der Track begleitete mich aus dem Rollstuhl heraus zum Wanken bis hin zum Stehen.“ Aber nicht nur, dass uns „Bury Pts. 1 + 3“ Einblicke in den Aufnahmeprozess gewährt, das Ding rockt natürlich wie blöd. Der Opener „O.F.Y.C Showcase“ verschmilzt Maschinengewehrmotorik mit hyperbeschleunigten Riffs, während Smith den Titel des Albums mit wahnhafter Beharrlichkeit herausschreit. Ein paar Takte weiter, und der weiß glühende Sound wird regelrecht spürbar.
„Hot Cake“, „Chino“ und „Funnel Of Love“ sind allesamt Höhepunkte des derzeitigen Live-Programms der Band: kurz und knapp, gestreckt und in Form gebracht von Eleni Poulous verzerrtem Keyboard. Smith nannte The Fall einst Country ’n’ Northern. Der Song „Cowboy George“ ist dagegen Morricone ’n’ Northern: Gitarren voller Twang hinterlassen Spuren im Staub, während Peyote-Schamanen sich an der Saloonbar amüsieren – wirre Gedanken, die Smiths Erzählung bei einem auslösen. „A story I was told / of unseen knowledge, unseen hills, unseen footage, and unseen facts.“

Dagegen ist das beinahe acht Minuten lange „Y.F.O.C./Slippy Floor“ ein eher zeitgenössisches The-Fall-Epos. Nach zwei Minuten, in denen sich Smith mit Bass und Schlagzeug unterhält, spielt sich die Band zur härtesten und rausten Form auf und verliert sich in lärmender Euphorie. Und hört, als die Hölle offiziell für ausgebrochen erklärt ist, ebenso schnell wieder auf. Schließlich endet alles in Tonbandge-räuschen, Anrufbeantworteraufnahmen und spukhaftem Geklopfe.
„Your Future Our Clutter” endet mit „Weather Report 2“. Smith singt mit schwermütiger Zärtlichkeit, so, wie er es schon beim Song „Bill Is Dead“ vom Album „Extricate“ gemacht hat. Es ist schwer, den Text nicht mit Smiths Bann in den Rollstuhl und dem damit verbundenen Zwang zur Untätigkeit zu assoziieren: „I watched ,Murder She Wrote‘, at least five times / The cast deserved to die.“ (Für den seltenen Fall, dass Smith auf Sympathien aus ist, sollte man ihm die für sein tapferes Ertragen des täglichen Fernsehprogramms auf jeden Fall entgegenbringen.) Das Lied mutiert langsam in einen dunklen elektronischen Impuls, der Sound ist gleichzeitig unheimlich und getragen und echot in Smiths Feststellung „The whirlpools grows wider and wider“. Als der Impuls sich beschleunigt und die Sicherungen durchknallen lässt, beugt sich Smith über das Mikro und spendiert uns einen geflüsterten Schlusssatz: „You don’t deserve rock ’n’ roll“.
Sollte es einen Hinweis auf Vergänglichkeit auf „Your Future Our Clutter” geben, so wäre das in etwa so, als schreie man einen Orkan an. The Fall sind im neuen Jahrzehnt auf der Höhe ihrer Zeit. Behaltet also eure Gene Vincents, Merle Haggards und Johnny Cashs. Ladys und Gentlemen, wir haben den einzig wahren Mark E. Smith und die großen The Fall.


Muggef**k
05.07.2010

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