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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Zwei koratische Skulpturen

Digital Brief, powered by Facebook, ist die Spitzmarke eines Berichtes im Wochenrückblick von Euractiv, jenem Newsletter, der mir täglich die Schlagzeilen aus der ganzen EU und darüber hinaus von England bis auf den Balkan liefert. Unter anderem um Microtargeting geht es in diese Beitrag.

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Offenbar beschäftigt sich das Büro von Kommissions-Vizepräsidentin Jourova mit dem Gedanken, im dritten Quartal dieses Jahres das Microtargeting unter gewissen Umständen zu verbieten.Google hat dazu bereits eine Stellungnahme verfasst; sie lässt gezielte politische Werbung weitgehend zu, verbietet aber die «granulare» Spezifizierung, also eben das Microtargeting. Zudem will sie ein Register dieser Werbespots führen und erklärt Herkunftsangaben in diesen Spots für obligatorisch. Und ein paar Blindzeilen unterhalb der Meldung findet sich die Facebook-Sponsormitteilung: Facebook-Partnerschaften im Kampf gegen COVID-19. Offenbar benutzt die Weltbank die Präventions-Landkarten von Facebook, um für Spanien Prognosen zu erstellen für den Bedarf an COVID-19-Tests und Spitalbetten. Das wusste ich nun wirklich nicht, dass die Weltbank eine eigene COVID-Abteilung betreibt, welche Spanien bei der Spitalbetten-Planung unterstützt. Auf der interaktiven Karte der Weltbank-Webseite taucht aber auch kein entsprechendes Projekt auf, ebensowenig auf den anderen Projektlisten, die man dort findet; die Unterstützung geht in erster Linie an Entwicklungs­länder, und zu denen zählt Spanien vorderhand noch nicht.

Aber wie auch immer: Facebook sponsort einen Euractiv-Artikel zum Thema Microtargeting, also zur Identifikation von möglichst granular kleinen Zielgruppen, die anschließend mit möglichst gezielter politischer Werbung, sprich mit ausgesuchten Lügen von exzellenter Qualität beschossen werden, im Gegensatz zur nebenan wohnenden granular kleinen Zielgruppe, welche mit anderen Lügen, aber ebenfalls von exzellenter Qualität eingedeckt werden über Twitter – und natürlich über Facebook. Klingelt da nicht etwas? Der Name Cambridge Analytica zum Beispiel, jene Firma, die mit 87 Millionen Facebook-Profilen Microtargeting betrieb für den ollen Trump, aber auch für den Brexit? Facebook wurde dafür von der Federal Trade Commission in den Vereinigten Staaten zu einer Strafzahlung von 5 Milliarden Dollar verknurrt, während England die Brexit-Betrugsmasche mit 500'000 Pfund abhakte. Ich erinnere mich an das Babygesicht von Mark Zuckerberg, wie er vor einem US-amerikanischen Untersuchungsausschuss zugleich seine vollkommene Un­schuld beteuerte und seine Schuld eingestand. Die Erinnerung an Mark Zuckerbergs Unschulds­mine bringt mich auf einen weiteren analytischen Gedanken, nicht aus Cambridge, sondern aus dem neutralen Alpen-Réduit der Schweiz, dass der sein Babyface vermutlich alle paar Monate chirur­gisch auffrischen lässt, weil Schwiegerväter und Influencer auf so etwas stehen, und wenn dann die humanchirurgischen Maßnahmen einmal aufgebraucht sind, lässt er sich einfach ein Kätzchen-Gesicht implantieren und beginnt, mit Wollknäueln zu spielen. Dazu wedelt er dann wohl noch mit dem ebenfalls neu applizierten Hundeschwanz.

Dieses mehrfach wegen Beihilfe zum Microtargeting gebüßte Facebook sponsort also einen Bericht von Euractiv über einen EU-Gesetzesentwurf zum Verbot von Microtargeting in gewissen Fällen. Mit anderen Worten: Die Meldungen von der vegetarischen Metzgerei sind längst Tatsache.

Einen analytischen Nachtrag bin ich mir schuldig, nämlich dass für den Wahlsieg des ollen Trump offensichtlich nicht das Microtargeting verantwortlich war, sondern die wenig analytische Bereit­schaft einer Horde von Rotnacken, all den Scheiß und Kack von Trump für frisches Schweinemett und Rib-Eye-Steaks zu nehmen, wofür sie letztlich nur ihren eigenen Gedärmen gegenüber ver­ant­wortlich sind; zweitens, dass die vier Regierungsjahre des Kack-Trump kein Mikro-Jota an der US-amerikanischen Politik verändert haben, wenn man mal von den Unwettern in den Köpfen absieht, also vom Durchbruch der offensichtlichen Lüge als Stilmittel im Gegensatz zur bis dahin vor­herr­schenden verdeckten Lüge. Jetzt sind wir mit Sleepy Joe wieder zurückgeehrt in die Ausgangslage, nämlich zu den mehr oder weniger stromlinienförmigen Mitteilungen des Kommunikations­appa­rates, die uns immerhin insofern ruhig schlummern lassen, weil sie eine innere Ordnung respektieren, wie wir dies auch für unsere eigenen Köpfe benötigen. Daneben mag man je nach Belieben weiterhin von Falschmeldungen und Systemmedien und Lügenpresse sprechen, alles gebongt; es wäre dem logischen Bedürfnis zuviel abverlangt, würde man im Ernst von den Regierungssprecherinnen eine wahrheitsgetreue, umfassende, objektive und neutrale Bericht­erstat­tung über die Tätigkeiten ihrer Behörden verlangen. Dafür sind immer noch wir zuständig, die objektiven und neutralen Beobachterinnen. Dass es uns gibt und dass wir nicht bei jedem Pieps erschossen und vergiftet werden, zeichnet die moderne, sozialdemokratische Gesellschaft aus. Im Gegensatz zum Beispiel zu Russland; kürzlich habe ich in einem Interview mit einer führenden Vertreterin des Investigativnetzwerks Bellingcat gelesen, dass der russische Geheimdienst seinen Novitschok-Kasatschok durchaus nicht nur in den Unterhosen von Nawalny tanzt, sondern dass das Nervengift vom russischen Geheimdienst ganz selbstverständlich und alltäglich eingesetzt werde gegen Oppositionelle und Journalistinnen aller Art. Die mir innewohnende logische Instanz weist dabei darauf hin, dass Bellingcat anscheinend keinem anderen Zwecke dient als der Aufdeckung russischer Operationen, aber abgesehen davon machen die Recherchen in der Regel einen glaub­würdigen Eindruck. Giftanschläge gegen alles, was nach Opposition riecht? Der russische Staatsapparat ist offenbar im 19. Jahrhundert stecken geblieben. Es geht mich ja nichts an, aber ich habe immer das Gefühl, dass sich so etwas irgendwann mal negativ auswirkt auf die Gesundheit des gesamten Landes.

Andere scheint das weniger zu kümmern, neben Eurem Vorzeige-Sozialdemokraten Gerd Schröder vor allem verschiedene Vertreterinnen aus Eurem und unserem Nachbarland Österreich. Die von 2017 bis 2019 als Außenministerin fungierende Karin Kneissl, die als Parteilose von der famosen Haider- und Strache-Partei FPÖ nominiert worden war, hat schon während ihrer Amtszeit den Gospodin Putin nicht nur zu ihrer Hochzeit mit einem Unternehmer, von dem sie natürlich schon längst wieder geschieden ist, eingeladen, sondern dieser hat die Einladung auch eingenommen. Die Kneisslin scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben, spricht tausend Sprachen, unter anderem alle arabischen Dialekte, ist Expertin für den Nahen Osten und Energiepolitik und weist Erfahrung als Erdöl- und Gasmarkt-Analystin auf. Nach dem Außenministerium war sie als Journalistin für das österreichische Staatsfernsehen ORF tätig, bevor sie den Schritt in die journalistische Unabhängigkeit wagte und zu Russia Today wechselte. Jetzt sitzt sie im Aufsichtsrat von Rosneft und spielt in Brüssel die Lobbyistin für Russland. Den Rosneft-Vorsitz hat der erwähnte Schrödergerd inne. Ebenfalls im Aufsichtsrat findet sich Hans-Jörg Rudloff, der ehemalige Präsident Investmentbanking der Bank Barclays, der allerdings in Bern studiert hat, bei der Credit Suisse groß geworden ist, in London den Eurobond-Markt aufgebaut hat und auch beim Basler Pharmakonzern Novartis im Aufsichtsrat saß. An weiterer Österreicher Prominenz fällt mir gerade ein Hans Jörg Schelling von der ÖVP, der von 2014 bis 2017 Finanzminister war und jetzt bei Gazprom als Berater wirkt; der ehemalige SPÖ-Kanzler Christian Kern wirkt im Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn wohl nicht so ganz international systemerhaltend, sondern eher bahnspezifisch, der kam schließlich schon von den ÖBB ins Kanzleramt. Wolfgang Schüssel dagegen, der mit allen Weihwassern gesalbte und mit sämtlichen Geldern geschmierte ÖVP-Kanzler von 2000 bis 2007 wirkt heute i Aufsichtsrat des russischen Telecom-Konzerns MTS und seit 2019 auch im Aufsichtsrat des Erdölgiganten Lukoil.

Unabhängig vom schönen Land Österreich sieht man hier recht deutlich, dass sich im zweiten Kulissenrang hinter der Empörung über Nawalny, Nowitschok, Ukraine und Putins Privatvillen eine sehr erfreuliche Szenerie eröffnet, in welcher die wirtschaftlichen, vor allem natürlich monetären Beziehungen zwischen der europäischen Polit-Halbwelt – von der ich oben einen kleinen Ausriss beschrieben habe – und der russischen Voll-Welt unter geradezu paradiesischen Umständen Auslauf finden. Aus Sicht des Weltfriedens und der künftigen Entwicklung der Beziehungen zwischen den Ländern ist dies auch höchst vernünftig. Bloß dieses verdammte Nowitschok, und dieser verdammte Unwille der russischen Elite, die Bevölkerung endlich mal an die politische Reife heranzuführen, das sorgt für Rumoren im Gekröse.

Dafür erfreut uns die überschüssige politische Korrektheit immer wieder aufs Neue mit Erscheinungen, welche ihre eigenen Grundlagen, nämlich den Bezug auf Menschenrechte, Auf­klä­rung und Vernunft radikal negieren. Irgend so ein Gedicht irgend so einer schwarzen Amerikanerin, das sie an irgend einer Einweihungsfeier irgendeines US-amerikanischen Präsidenten in irgend­ei­nem Jahr 2021 vorgetragen hat, dürfe nicht von einer Weißen ins Niederländische übersetzt werden, mindestens nicht die offizielle Version, weil diese weiße Niederländerin in ihren Genen nicht die Erfahrung von zweitausend Jahren Sklaverei trage, haben US-amerikanische schwarze, ich nehme an: Feministinnen herausgefunden. Ich will dies, obwohl es das ist, gar nicht erst rassistisch nennen, sondern viel kürzer: bekloppt. In einer ähnlichen Gemütsregion ist die Reaktion der kroatischen Kul­turministerin Nina Obuljen Korzinek anzusiedeln, die sich gegen die Infragestellung zweier Denkmäler in Chicago wehrt. Diese Denkmäler zeigen je einen Indianer zu Pferd, einmal mit Pfeil und Bogen, einmal mit einem Speer, und sie wurden im Jahr 1929 vom kroatischen Künstler Ivan Mestrovic skalpiert, nein, skulptiert. In den Vereinigten Staaten werden solche Darstellungen im Moment gerne als romantisierende Verherrlichungen des Völkermords an den nordamerikanischen Indianern kritisiert und zum Teil eben auch entfernt. – Das erinnert mich übrigens daran, dass ich kürzlich gelesen habe, dass die Bevölkerung der amerikanischen Kontinente im Jahrhundert nach ihrer Eroberung von gut 60 Millionen auf gerade noch 6 Millionen geschrumpft sei – das wäre nun das gerade Gegenteil von Dezimieren, wo jede Zehnte exekutiert wird, während in Amerika offenbar nur jede Zehnte die kriegerischen Auseinandersetzungen und vor allem die importierten europäischen Krankheiten überhaupt überlegte. Ich weiß nicht, ob diese Angabe wirklich zutrifft, ich dachte immer, dass die Bevölkerung in den zentralen Landesteilen mehr oder weniger ungeschoren von der Eroberung davongekommen ist; es gibt aber offenbar andere Erkenntnisse zu all den Indiomädchen und -jungen aus Peru. – Aber zurück: Während also in den Vereinigten Staaten der Genozid hie und da ernsthaft thematisiert wird, ist so etwas für die kroatische Kulturministerin völlig nebensächlich, solange da nur ein Kroate Hand angelegt hat. Kroatische Kultur auf der ganzen Welt – ach Gott, ach Gottchen, so etwas könnte in jedem Land auf der ganzen Welt passieren, wenn es bloß klein genug ist und kein großes Selbstbewusstsein hat.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
09.03.2021

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