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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Männerfreundschaft drei Jahre danach

Ist es nun das Wetter, oder ist es schon das Klima? Manchmal ist die Unterscheidung schwierig. Fest steht, dass nicht jeder Regentropfen und jeder Sonnenstrahl ein Beweis für die Klima­erwärmung ist; dafür gibt es genügend andere Belege.

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Wir tun, mit anderen Worten, gut daran, unsere persönlichen Wettererfahrungen nicht mit der globalen Entwicklung zu vermischen oder gar zu verwechseln. Vernunft anstatt gefühlten Temperaturen, das reicht ja vollkommen.

Tatsache ist allerdings, dass die Klimaerwärmungs-Botschaft häufig gerade aufgrund dieser Verwechslung in den Köpfen ankommt. Und dann hängt es noch davon ab, wie stark die Gegenwehr von Seiten der Klimaleugner, vor allem aber der betroffenen Industrien und Sektoren ist. Seit die deutschen Automobilkonzerne ihr Herz für die Elektromobilität entdeckt haben, ist in dieser Beziehung doch einiges anders geworden. Wie es sich gehört, ist nach wie vor viel Trickserei dabei, zum Beispiel bei den Hybrid-Modellen, also jenen Fahrzeugen, die abwechslungsweise einen Verbrennungs- oder einen Elektromotor einsetzen können; hier wird bei den Verbrauchs- und Emissionstests geschummelt wie schon vor fünf Jahren. Trotzdem: Die größten Arbeitgeberinnen und damit auch die größten Influencerinnen auf die öffentliche Meinung beharren nicht mehr kategorisch darauf, auch weiterhin ungebremst die Klimaerwärmung zu betreiben. Wenn das so weitergeht, sitzt in der nächsten Bundesregierung im Herbst ein anderer Verkehrsminister an der Invalidenstraße. Vielleicht sogar eine grüne Verkehrsministerin?

Wer weiß, vielleicht beschert uns der Herbst tatsächlich eine neue große Koalition aus CDU/CSU und den Grünen, was wie bei den Automobilen einen echten Hybrid ergäbe aus Umweltsünderinnen und Umweltaktivistinnen. Und wenn die CSU mit Markus Söder den Kanzler stellen täte, dann hätten die Grünen mit Sicherheit Anrecht auf das Verkehrsministerium, während man den Umweltschutz selbstverständlich, hoch offiziell und auf dem Silbertablett der CDU übergeben täte. Schließlich muss Julia Klöckner endlich mal etwas für ihr Renommee tun. Den Andi Scheuer würde man dann an die Europäische Kommission abgeben, ich kann allerdings keine Ressort-Empfehlung aussprechen, aber er wäre dann auf jeden Fall schon mal in Brüssel. Dort haben schon andere Brüh- , Brat- und Weißwürste eine schöne Karriere gemacht, ich erinnere immer wieder an José Barroso.

Vor drei Jahren hatte ich an dieser Stelle zum ersten Mal meine These zu Alexander Nawalny ausgebreitet. Ich darf mich selber zitieren: «Alle paar Wochen neue öffentliche Liebesbekundungen – ist Wladimir Putin gar homosexuell? Gut, ich gebe es zu, Alexander Nawalny sieht gut aus, und die Nummer «allein gegen die Staatsgewalt» ist schon sehr heroisch, im Prinzip deutlich männlicher als die Rolle des Staatspräsidenten, Dikta­tors oder Zaren, welche Putin spielt. Aber Gefühle sind nicht wichtig in dieser Show, wichtig ist, dass Putin dem Nawalny erneut vor den Augen des weltweiten Publikums einen Beweis seiner Gunst erbracht hat und ihn schon wieder nur verhaften ließ, anstatt ihn endlich zu erschießen oder in ein paar Stücke zu zerschneiden und den Bären im Moskauer Zoo vorzuwerfen, wie er es sicher mit einem anderen Staatsfeind längst getan hätte, man kennt das ja.» – Und weiter: «Es gibt viel zu tun, nicht zuletzt beim politischen System, also muss da etwas in Richtung formale Demokratie unternommen werden. Dieser Notwendigkeit, welche auch einem russischen Kopf vollständig einleuchten muss, steht die andere, kurzfristig strukturelle Problematik gegenüber, dass man das bestehende Geflecht aus Abhängigkeiten und Freundschaften, welches für die Stabilität der Regierung Putin sorgt, nicht einfach so mit einem Federstrich ausschalten kann. Es braucht eine sorg­fältige Vorbereitung und Planung, und eine bessere Figur als Alexander Nawalny, dessen Integrität durch die anhaltenden Inhaftierungen marmor-, stahl- und eisenhaft belegt wird, gibt es dafür nicht. Das ist die Substanz der Männerfreundschaft zwischen Wladimir Putin und Alexander Nawalny, und es ist selbstverständlich möglich, dass ich mich irre. Aber wenn es nicht der Nawalny ist, muss es jemand anders sein, und ich sehe nun mal niemand anderen. Also ist es eben doch der Nawalny. Und zum Zeichen nehmet dieses, dass er vor einer Woche praktisch umgehend wieder aus der Haft entlassen wurde – offenbar gibt es im Moment grad nicht so viel zu besprechen vor der großen Olympiade-Show in Südkorea; dafür wurden, um den Schein zu wahren, drei Mitarbeiterinnen von Nawalny verhaftet und zu mehrjähriger Zwangsarbeit am Polarkreis, ach Quatsch, zu Gefängnis­stra­fen von 8, 5 und 30 Tagen verurteilt. Wenn das mal keine Liebesbeweise sind! Das ist doch das Äquivalent von einem Strauß von 50 rot-weiß-blauen Rosen.»

Ich habe mich wohl getäuscht. Nawalny ist dem Tod nach akutem Wissensstand nur knapp ent­kom­men, nachdem ihm Putin Nowitschok in die Unterhosen gestreut hat. Wobei, diese Methode ver­weist wieder auf das Spielerische, wie es jede Liebesbeziehung auszeichnet, was mich erneut irritiert; und hat nicht Putin selber gesagt, wenn er Nawalny umbringen möchte, dann würde dies auch klappen? Also will er ihn doch nicht umbringen? War der mit den Unterhosen nur ein ebenso schlechter Scherz wie jetzt die Verurteilung wegen Nichtbefolgens der Meldeauflagen, die Nawalny nicht befolgen konnte, weil er nach dem Giftanschlag im Spital lag? Auf den ersten Blick sieht alles nach einem vollständig überflüssigen Katz-und-Maus-Spiel aus, aber vielleicht steckt per Saldo eben doch mehr dahinter, wie dunnemals und heute wieder mit Aung San Suu Kij in Myanmar. Vielleicht werden die beiden von einem gemeinsamen Gnadenerlass profitieren.

Nawalny bietet sich von seinen politischen Positionen her durchaus an für eine Putin-Nachfolge. Den erforderlichen, bis ins Rechtsextreme gehenden Nationalismus hat er auf jeden Fall wiederholt demonstriert. Was ihm bisher abgeht, ist die Fähigkeit, die verschiedenen Interessens­fraktionen in Russland halbwegs versöhnlich miteinander auszugleichen, aber so etwas kann man natürlich schnell lernen. Umgekehrt scheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, dass Putin bis ans Ende seiner Tage auf dem Eisernen Thron sitzen bleibt. So gut ist der nun auch wieder nicht, und auch in Russland verändert sich die Gemengelage immer wieder, wenn auch vielleicht in langsamerem Tempo als in anderen Weltgegenden. Irgendwann kann man sich sogar eine Annäherung an die Erzfeinde in den Vereinigten Staaten und sowieso an die Ideologinnen in Europa vorstellen; dafür ist Putin dann möglicherweise nicht mehr die richtige Figur.

Im Moment aber bleibt der Fall Nawalny ein Rätsel, und noch mehr ein Rätsel bleibt das Gerangel um mögliche Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland. Wenn schon, denn schon, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, nämlich ist die einzige im Moment sichtbare und vermutlich auch griffige Sanktion die Einstellung der Arbeiten an Nordstream zwei und die Drosselung des Erdgasverbrauchs in allen europäischen Abnehmerländern. Ich würde hier zu etwas anderem raten, nämlich zu einer diplomatischen Offensive mit dem Ziel, wieder geordnete Beziehungen zwischen den beiden Lagern einzurichten. Dazu gehören in erster Linie Übereinkünfte im Bereich Rechts­sicherheit, also einerseits Vertragssicherheit und anderseits eine verbindliche Gerichts­barkeit, einschließlich der möglichen Sanktionen. Wenn wir uns daran erinnern, wie Russland die britische BP vor über 10 Jahren praktisch enteignet hat, weil es einem Kerl aus der Entourage von, na, vermutlich schon Wladimir Wladimirowitsch gefallen hat, sich die entsprechenden Investitionen unter den Nagel zu reißen, dann wissen wir, worum es im Kern geht. Es ist zwar verstörend und widerspricht sämtlichen Verhaltensgrundsätzen der berühmten westlichen Wertegemeinschaft, zu welcher übrigens auch famose Wertegemeinschaften wie die Slowakei und Ungarn gehören, wie Gospodin Putin mit der Opposition und mit Journalistinnen umspringt, aber das müssen im Prinzip die Ureinwohner Russlands regeln, nicht die EU mit irgendwelchen Sanktionen. Man kann sich durchaus in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, hier liegt nicht das Problem, übrigens tun das vor allem die Vereinigten Staaten sowieso und am Laufmeter und mit sämtlichen denkbaren Mitteln; aber am besten tut man es dort, wo konkrete Alternativen vorhanden sind. Die Europä­erin­nen sollten endlich mal einen Schlussstrich ziehen unter ihre Brühwurst-Vergangenheit, irgendeinen Schwebestatus finden für die Ukraine und Weißrussland, die Krim völkerrechtlich den Russen zusprechen und dann in erster Linie die Wirtschaftsbeziehungen normalisieren. So sieht es nämlich aus.

Daneben neigt sich die Corona-Pandemie langsam ihrem Ende zu. Das ist nicht nur erfreulich, sondern wir sollten die Gelegenheit auch dafür nutzen, um jenen Kolleginnen und Kollegen, die sich gedanklich und ideologisch an einen Ort verrannt haben, den sie selber nicht mehr identifizieren können, vollständige Absolution zu erteilen. Es ist jetzt fertig, wir können jetzt wieder normal miteinander sprechen, und wir wollen vergessen, dass ein paar sonst halbwegs vernünftige Köpfe völlig von der Rolle gekommen sind. Die Zeiten waren auch wirklich verworren und auf Dauer auch zermürbend; jetzt bauen wir halt aus den Ruinen des ehemaligen Denkvermögens wieder ein paar schöne Weltanschauungen auf. Die anderen dagegen, die veganen Köche und sowieso die Rechtsnationalistinnen, die wollen wir auch in Zukunft nicht nur rechts liegen lassen, sondern tüchtig auf den Kopf hauen, wenn sie meinen, sie müssten wieder beginnen, in der Gegend herumzuballern und irgendwelche Menschen zu erschießen. Das macht man nämlich nicht.

Dafür können wir uns jetzt langsam auf die EU-Ratspräsidentschaft der Wertegemeinschaft in Slowenien vorbereiten. Premierminister Janez Jansa ist ein bekennender Trump-Fan und hat das gleiche Verhältnis zur Presse und zur Wahrheit wie dieser. Nachdem es uns schon fast ein wenig langweilig geworden ist, seit der Strom an Lügen und Idiotien aus Washington versiegt ist, können wir uns auf die zweite Jahreshälfte freuen. Einige Kommentatoren vermuten, Janez Jansa betreibe eine Revolution von rechts; das wiederum ist wohl übertrieben, denn Jansa kommt eigentlich immer dann an die Macht in Slowenien, wenn sich die normalen Parteien wieder einmal untereinander zerstritten haben. Aber immerhin – es wird sicher eine schöne EU-Präsidentschaft mit einem absehbaren Dauergerangel mit der Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova. Ich wünsche viel Vergnügen.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
23.02.2021

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