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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Krieg in der Ägäis

Unser aller Lockenbubi Boris Johnson wird zusammen mit den anderen britischen Freibeutern einen rechten Gefallen gefunden haben am Film «Die dunkelste Stunde» über Borissens Vorbild Winston Churchill.



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Angesichts seiner türkischen Abstammung holen ihn möglicherweise demnächst die Grie­chen als Berater und Churchill-Ersatz, wenn sie ihre Strategie gegen Erdogans Schwellkörper festlegen, und ich spreche hier sowohl vom Kamm als auch vom Schwanz, also dem geraden, der vorne dran befestigt ist, nicht dem geschwungenen am Hintern und aus Federn, aber Englisch ist eine präzisere Sprache als Deutsch und nennt den Penis des Gockels nicht gleich wie seine Schwanz­federn, sondern bezeichnet sowohl den Hahn als auch seinen Geschlechts-Schwanz als Cock. Die Mischung aus Penis und Gefieder-Schwanz dagegen ist dieser Sprache misslungen beziehungsweise wurde lange als mittelmäßiger Sprachwitz verwendet; einen Cocktail möchte man sich eigentlich noch nicht mal vorstellen, und deswegen ist diese Sorte von Gesöff beziehungsweise seine Bezeichnung auch weitgehend aus dem Sprachgebrauch verschwunden und hält sich nur noch an den Kebap-Ständen: Joghurt- oder Cocktail-Sauce? Immerhin könnte man sagen, dass seit Erdogan nicht nur Joghurt und Kebap, sondern eben auch Cocktail typisch türkisch seien, wobei ich mich bei jenem ansehnlichen Teil der türkischen Bevölkerung sofort entschuldige, welcher aus ebenso vernünftigen und friedliebenden Menschen besteht wie Ihr und ich und die auch einen ausgezeichneten Kebap kochen.

Boris Johnson also könnte demnächst einen Auftritt haben als Churchill-Ersatz, nämlich dann, wenn es Recep Tayyip Erdogan beifällt, er könnte sich nach der syrischen Provinz Afrin und vor dem nächsten kurdischen Flecken in Nordsyrien zwischendurch auch mal einer griechische Ägäis-Insel bemächtigen. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass man auf der Ebene von Regional­konflikten durch­aus gegen den internationalen Comment verstoßen kann, insonderheit als strategisch bedeutsamer Nato-Eckpfeiler, und die seit einiger Zeit wieder hochgezwirbelte antigriechische Rhetorik der offi­ziel­len Türkei kann man zur Abwechslung durchaus so inter­pretieren, dass sie den Versuchsballon einer kleinen Ägäis-Invasion vorbereiten soll. Vielleicht nicht gerade alle Inseln, vielleicht bloß irgendeinen strategisch nicht besonders wichtigen Steinhaufen vor Smyrna, dem heutigen Izmir; und wenn das dann durchgeht, dann kann man sich an die Planung weiterer Erweiterungen machen; und das, genau das ist dem türkischen Anführer seine Vision mindestens seit dem Jahr 2011. Mittel­fristig decken seine strategischen Halluzinationen halb Syrien und die gesamte Ägäis ab, soviel steht fest.

Nicht fest steht, ob man ihn lässt. Wenn Blondlöckchen Boris die Griechen und die Nato richtig berät, dann wird dem Generalissimus ein Ultimatisimus gestellt, sobald der erste Türkenstiefel den erwähnten Steinhaufen betritt, und zwar von 24 Stunden, wie es sich gehört, und dann machen sich zwei Flugkörper auf den Marsch und zerstören als erstes den 1000-Zimmer-Palast, den sich der Pascha hat errichten lassen. Gleichzeitig wird der Steinhaufen bombardiert, dass es eine Art hat, und dann ist wieder Ruhe im Kartong, und die Verluste halten sich in engen Grenzen.

Beim Steinhaufen in der Ägäis handelt es sich um Planspiele, welche Erdogan mit seinen Generälen zwei Mal pro Woche, am Dienstag­mor­gen und am Donnerstagnachmittag, mit unterschiedlichen Varianten in einem großen unterirdischen Bunker durchspielt, verschiedene Quellen geben an, dass er sich dazu jeweils ein Hitler-Bärtchen unter die Nase klebt. Seine wichtigste Waffe sind dabei die Natotruppen, welche er als Gei­seln gegenüber der Nato selber bewertet, sowie die Flüchtlinge; hier besteht ein zweites Szenario, vor der Besetzung des Steinhaufens ein paar Flüchtlinge dorthin portieren zu lassen, was dann diplomatisch etwas schöner aussieht: Die türkische Armee besetzt dann diese Insel, um die Flüchtlinge zurück in die Türkei zu holen, und anschließend vergisst sie ganz einfach den Rückzug. Erdogans Gesamtdrohung in Flüchtlingssachen besteht darin, dass er aus dem Vertrag mit der Europäischen Union aussteigt und ein paar Millionen Migrantinnen und Migranten nach Griechenland sendet. Als weiteren Vektor setzt er regionalpolitische Überlegungen ein: Wenn sich die Nato gegen die Türkei wendet nach der Annektion verschiedener ägäischer Inseln, dann schließt die Türkei eben eine Allianz mit dem Iran und mit Russland, und dann hat er sich geschnitten, der Westen mit seiner Arroganz und den Demütigungen der damaligen gloriosen Sultane, bis hin zum Aufhängen von Boris Johnsons Großvater durch Atatürk, den Lakaien west­lichen Denkens und des Westens insgesamt.

Ich nehme an, dass man auch im Nato-Hauptquartier solche Varianten durchspielt, wobei eine Frage von zentraler Bedeutung ist: Hatte der Putsch vor zwei Jahren genau diese Komponente? Ging es damals vielleicht weniger um die, hierzulande praktisch unbekannte Gülen-Sekte als viel­mehr darum, im Militär jene Strukturen zu zerschlagen, welche natofreundlich sind oder vom US-amerikanischen Geheimdienst aufgebaut wurden? – An das Brimborium rund herum mit der Schlie­ßung kritischer Medien und der Inhaftierung von hunderten von fortschrittlichen Intel­lek­tuel­len und Politikern glaubte doch von Anfang an kein vernünftiger Mensch. Die Frage bleibt seit zwei Jahren unbeantwortet: Wozu all dieses Affentheater? – Und hier könnte eine Antwort liegen.

Nun, Ihr kennt mich, liebe Hörerinnen und Hörer, ich habe es gerne friedlich auf der Welt, aber wenn es nötig ist, bin ich für schnelles und entschiedenes Handeln. Sollte der Erdopascha also seiner antigriechischen Rhetorik Taten folgen lassen, dann empfehle ich wirklich eine umgehende und drastische Reaktion – sonst nimmt man mittelfristig eine ständige Eskalation in Kauf, und wenn man sich zum Handeln mit Verzögerung entschließt, dann ist das Leid tausend Mal größer als bei einer sofortigen Versenkung sämtlicher Aggressionsabsichten der Familie Erdogan.

Ich weiß: Was ich da soeben skizziert habe, ist im Moment nicht besonders wahrscheinlich, sondern es ist vielmehr ein Teil dessen, was der Erdogan und seine Clique mit waffenstarrender anti­grie­chi­scher Rhetorik als Dro­hung gegenüber dem Westen aufrecht erhalten, um bei der Ausweitung des Staatsgebietes der Türkei im Süden freie Hand zu haben. Die Ägäis steht da nicht im Vordergrund. Aber genau dies könnte ein Anreiz dafür sein, es einmal zu versuchen mit einem Einsatz, der gegen null geht. Die paar Marine­infanteristen, die bei einem allfälligen Bombardement der Nato drauf­gehen, könnte sich sogar die Armee von Andorra als Verluste leisten, und wenn die Nato nicht bombardiert, umso besser. Was überhaupt mich selber angeht, so ist es mir daneben und grun­d­sätzlich sowieso egal, ob die Türken die Ägäis erobern in diesem Jahrtausende langen Wettstreit zwischen den Persern und den Griechen, sie können von mir aus auch ganz Griechenland haben, mindestens solange es den Griechen nicht gelingt, ein anständiges Grundbuchverzeichnis ein­zu­rich­ten, welches den Großgrundbesitz ihrer mächtigsten Ideologie­fabrik, nämlich der orthodoxen Kirche endlich mal ans Tageslicht bringt. Aber man muss schon sehen, dass es tatsächlich nicht nur um einen Steinhaufen im Meer geht. Wenn der Erdogan Ernst macht mit seinen militärischen Am­bi­tionen, dann entzündet sich eben nicht nur der neuralgische Punkt der Nato, sondern es lodert unmittelbar darauf auch im Balkan jenes Feuer auf, von dem wir seit zwanzig Jahren wissen, dass es durchaus nicht von einer Wassertaufe der christlichen Zivilisation ausgelöscht wurde. Die moderne Zivilisation hat mit anderen Worten durchaus noch gewaltige Schwachstellen, und zwar gerade dort, wo sie einige ihrer größten Erfolge bewirkt hat, eben zum Beispiel in der Türkei. Oder noch anders gesagt: Der allgemeine Wohlstand ist zwar das Ergebnis zivilisatorischer Anstrengung, aber er zivilisiert die Gesellschaft durchaus nicht zwingend. Je länger er anhält und je selbst­ver­ständ­licher er wird, dieser Wohlstand, desto mehr kommen die Leute auf dumme Gedanken, im Fall von Recip Tayyip Erdogan auf eine verkrüppelte Vorstellung von Weltherrschaft.

Aus objektiver Sicht muss ich zugeben, dass ich mich auch täuschen kann. Dass all das, was sich in der Türkei seit ein paar Jahren ereignet, mit verdeckten internen Machtkämpfen zu tun hat. Die Ex­pansion im Süden lässt sich durchaus erklären mit säkularen Interessen der Grenzsicherung gegen­über einem Nachbarn, der sich ungefähr gleich lang im Bürgerkrieg befindet, wie der Erdogan nach außen den Alleinherrscher im Machtwahn gibt. Das ist eine Lesart, welche ich grundsätzlich bevor­zuge. Aber die andere, die ich eben umrissen habe, gibt es eben auch, und man hat von den fernen Alpengipfeln her einfach keine verlässlichen Hinweise darauf, dass es sich dabei nur um Luft­ge­spins­te handelt. Und solange dies nicht der Fall ist, bin ich in der Ägäis-Frage voll und ganz Boris Johnson.

Es gibt aber auch noch andere Fragen. Vor zwei Wochen hatte ich über das Flüchtlingsproblem auf den Komoren vor der Ostküste Afrikas gesprochen, wo die verarmten Bewohnerinnen der politisch eigenständigen Inseln ihr Heil auf der französisch gebliebenen Insel Mayotte suchen, welche diese regelmäßig zurückzuschaffen versucht. Letzte Woche hinderte die Verwaltung der unabhängigen Inseln ein Schiff aus Mayotte an der Landung. Es hatte illegale Migranten an Bord, die zurück­trans­por­tiert werden sollten. Dafür nahmen am Montag die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst die Arbeit wieder auf, nachdem sie seit Anfang des Monats gestreikt hatten. Ebenfalls in den Streik getreten sind übrigens, damit ich dies auch noch erwähne, Mitte März die Angestellten im Öffent­li­chen Dienst in Andorra. Hier ging es um die Umwandlung ihrer Anstellungsverträge, die flexi­bi­li­siert werden sollen. Die Gewerkschaften protestierten dagegen, dass das neue Gesetz über ihre Köpfe hinweg beschlossen wurde. Es handelte sich um den ersten Arbeitskampf seit dem Jahr 1933.

Weitere Fragen betreffen Dinge wie Facebook. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich daran, dass ich der Facebook-Aktie beim Börsengang ein siechendes Dahindümpeln prognostiziert hatte – eine massive Fehleinschätzung, die ich nur deshalb nicht katastrophal nenne, weil sie vermutlich nie­man­den davon abgehalten hat, Facebook-Aktien zu erwerben. Dagegen verstehe ich die Hysterie nicht richtig, die darum veranstaltet wird, dass Facebook nicht nur Profile der Nutzerinnen und Nutzer erstellt, sondern diese auch tatsächlich nutzt. In diesem Nutzer-Nutzen liegt doch gerade das Geschäftsmodell des Unternehmens, und dass man das dann halt auf die Politik ausdehnt, ist sicher kein Haupteffekt, weshalb Facebook das auch nicht selber macht, sondern Firmen wie Cambridge Analytica, welche sicher nicht die einzige ist. Wenn hier ein Skandal vorliegt, so doch aus­schließ­lich der, dass sich Menschen in zivilisierten Ländern von gesteuerten Informationen steuern lassen. Und zwar nicht einfach ein paar Menschen, sondern ganze Horden davon. So etwas ist schon geeignet, den Glauben an das Gute im Menschengeschlecht zu beschädigen. Was einen vor der Verzweiflung rettet, sind dann Dinge wie die halbe Million Demonstrantinnen, die in Washington gegen den politischen Einfluss der Schießeisen-Lobbyisten protestiert hat. Und so richtig Hoffnung schöpfen kann man immer wieder aus dem Umstand, dass nicht nur Deutschland, sondern die halbe Welt «tief gespalten» ist, wie es die PolitikerInnen immer wieder beklagen. Sie sollten sich nicht beklagen. Solange die Bevölkerung gespalten ist, schreitet sie wenigstens nicht im Gleichschritt voran und brüllt «Ausländer raus».




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Albert Jörimann
27.03.2018

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